Schutz behinderten ungeborenen Lebens - Politik für Menschen mit Handicap

Politik für Menschen mit Handicap
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„Was nicht erst getrennt wird, muss hinterher nicht integriert werden.“ (Richard von Weizsäcker , ehemaliger Bundespräsident)

Schutz behinderten ungeborenen Lebens


Ein Plädoyer für das Leben mit Down-Syndrom

Ende der 1990-er Jahre: Ein Ehepaar, ein Lehrer und eine Sonder- und Musikpädagogin, erfährt, dass sie keine Kinder bekommen können. Es entschließt sich, Kinder adoptieren zu wollen. Doch nicht irgendwelche Kinder, sondern sehr besondere: es werden zwei Mädchen, die von ihren Eltern (ihrer Mutter?) zur Adoption freigegeben wurden – weil sie mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen waren.

Die Entscheidung, gerade solche Kinder adoptieren zu wollen, haben die Eheleute bewusst getroffen, wie sie später einem Team des WDR verraten werden. Das hat nämlich diese Familie von 2008 bis 2022 begleitet, wodurch eine wunderbare vierteilige Dokumentation entstanden ist, die eine wunderbare Familie mit zwei wunderbaren (inzwischen erwachsen gewordenen) Kindern mit Down-Syndrom porträtiert.
Die Dokumentation „Marie will alles – Durchstarten mit Down-Syndrom“ ist ein Plädoyer für das Leben – für das Leben mit Down-Syndrom. Sie zeigt, dass die mit dieser genetischen Abweichung geborenen Kinder nicht die gefühllosen Dummchen sein müssen, die viel zu viele werdende Eltern offenbar befürchten zur Welt zu bringen, wenn sie während der Schwangerschaft die entsprechende Diagnose erfahren und sich zu deren Abbruch entschließen. Marie leidet übrigens bis heute sowohl unter dem Bewusstsein, dass ungeborene Kinder wegen eines Down-Syndroms abgetrieben werden, als auch unter einem Gefühl der Minderwertigkeit, weil ihre leiblichen Eltern sie nicht wollten.

Auch das Ehepaar Zilske aus Leichlingen wusste nicht, was es im Einzelnen erwarten würde, als es sich zu diesen beiden Adoptionen entschloss. Ihm war bewusst, dass es sich Herausforderungen würde stellen müssen – wie groß diese sein würden, wusste es selbstverständlich nicht. Mit viel Mut, aber auch mit erstaunlich viel Gelassenheit hat es sich diesen Herausforderungen gestellt – und zwei kleine Kinder mit Down-Syndrom zu zwei jungen Frauen heranwachsen lassen, die mit einer gehörigen Portion Mut und Selbstbewusstsein gerade versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden – außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen und mit dem Bestreben, die eigenen während ihres Aufwachsens gemachten Erfahrungen weiterzugeben: an die heute aufwachsenden Kinder mit und ohne Behinderung.

Natürlich weiß ich, dass längst nicht alle mit dem Down-Syndrom geborenen Kinder einen solchen Weg werden können. Und ich ahne, dass es sicher ein besonderer Glücksfall für diese beiden Mädchen war, dass sich ein Ehepaar mit diesem beruflichen Hintergrund zur Adoption gerade solcher Kinder entschloss und sie gerade an dieses Ehepaar vermittelt wurden. Aber diese Geschichte zeigt eben auch, dass auch diese Kinder (wie übrigens alle Kinder auf dieser Welt) ein Recht auf Leben und Förderung haben – auch wenn es nur wenigen von ihnen vergönnt sein wird, eine Chance wie diese beiden jungen Frauen zu erhalten, der Gesellschaft für die erhaltene Förderung etwas zurückzugeben.

Ich empfehle allen Besucher*innen dieser Seite, sich diese Dokumentation anzusehen. Sie wird noch bis zum 30.12.2099 (!) in der ARD-Mediathek abrufbar sein.


Doku zum „Präna-Test

Am 9. November 2021 informierte ich über die endgültige Zulassung des so genannten „Präna-Tests“ als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Schwangerenvorsorge (s. nachfolgenden Artikel). Zu den Auswirkungen dieser Zulassung zeigt das Erste am 22. November 2021 um 23.35 Uhr in der Reihe „Echtes Leben die Dokumentation „Der Bluttest welches Kind soll leben?“ (allerdings ist der Film dem Sendungs-Begleittext zufolge offensichtlich bereits im Vorfeld des Inkrafttretens der Regelung entstanden). Aus dem Info-Text zur Sendung: Filmemacherin Ilka aus der Mark hat über ein Jahr lang werdende Eltern  begleitet und bei Gynäkolog:innen, Pränataldiagnostiker:innen,  Ethiker:innen und Kirchenvertreter:innen nachgeforscht, um  herauszufinden, was nötig ist, um mit dem Bluttest verantwortungsvoll  umzugehen. Und um werdenden Eltern zu helfen, die für sie richtige  Entscheidung zu finden. Wiederholungen dieses Beitrags werden auf tagesschau24 am 26. November 2021 um 21.30 Uhr, am 27. November 2021 um 13.15 Uhr, am 2. Dezember 2015 um 19.15 Uhr und am 5. Dezember 2021 um 9.15 Uhr ausgestrahlt. In der ARD-Mediathek ist der Beitrag bereits verfügbar. Leider lässt sich dieser Homepage nicht entnehmen, wie lange er dort abrufbar sein wird.

Nachtrag vom 23.11.2021: Die Dokumentation macht m.E. deutlich, dass ein erheblicher Handlungsbedarf besteht. So wird berichtet, dass sich nach der teilweisen Übernahme der Kosten für den „Präna-Test“ in Dänemark die Zahl der mit Down-Syndrom geborenen Kinder halbiert habe. Andererseits wurde auf die Situation in den Niederlanden verwiesen, wo zum einen eine qualitativ sehr hochwertige Schwangerschafts-Konfliktberatung stattfindet und andererseits Menschen mit Down-Syndrom gute Möglichkeiten finden in Bereichen zu arbeiten, in denen der Kontakt zu Menschen ohne Behinderung quasi gesichert ist (z.B.. in der Gastronomie). Absolut erschreckend sind dagegen Berichte, dass Betroffene, bei denen der Bluttest ein positives Ergebnis ergab, trotz ihrer kommunizierten Entscheidung, das Kind bekommen zu wollen, von den Pränataldiagnostikern massiv zu einem Abbruch der Schwangerschaft gedrängt worden seien. Dies widerspricht allen für die Schwangeren-Konfliktberatung aufgestellten Regeln; es ist zu überlegen, inwieweit für den Fall derartiger Vorkommnisse eine Sanktionierung derartig handelnder Mediziner gefordert werden kann bzw. soll. Desweiteren verweise ich auf die Ergänzung des Artikels „PND und PID stellen Lebensrecht behinderter Menschen in Frage“ weiter unten auf dieser Seite.


Der „Präna-Test“ ist ein Fakt

Es ist gekommen, wie es kommen musste: Das Bundesgesundheitsministerium hat gegen den Text des im nachfolgenden Artikel ausführlich beschriebenen Merkblattes zur Einführung eines Bluttests auf verschiedene Trisomien keine Einwände erhoben. Der entsprechende Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten, Krankenkassen und Patientenvertretern ist daher am 8. November 2021 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden und tritt damit einen Tag später in Kraft. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Test ab sofort Müttern bzw. Eltern in den entsprechenden Fällen im Rahmen der Schwangerenvorsorge zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden wird. Damit wird der ohnehin schon geschichtsträchtige 9. November ein weiteres Mal in die deutsche Geschichtsschreibung eingehen: als der Tag, ab dem Kindern, die möglicherweise vom Down-Syndrom betroffen sein könnten (vgl. hierzu im Einzelnen die nachfolgenden Artikel) das Recht auf Leben vorenthalten werden kann. Es tut mir leid, diese Feststellung so treffen zu müssen: Dies weckt bei mir Assoziationen zur so genannten „Reichspogromnacht“, die den endgültigen Startschuss zur Vernichtung jüdischen und anderen „unwertenLebens in Deutschland bildete. Es stellt sich die bittere Frage: bloße Unbedachtheit oder mehr?


Der „Präna-Test“ kommt!

Der 19. August 2021 ist ein weiterer „schwarzer Tag“ im Kampf um das Lebensrecht ungeborener, von einer Behinderung bedrohter Kinder jedenfalls dann, wenn es sich bei der Behinderung um so genannte Trisomien handelt, also genetische Fehlbildungen, bei denen ein Chromosom nicht zwei Mal, sondern drei Mal in der Chromosomenkette vorkommt. Neben dem Chromosom 21, dessen dreifaches Vorkommen das Down-Syndrom auslöst, kann dieses Phänomen auch bei den Chromosomen 18 (Edwards-Syndrom) und 13 (Pätau-Syndrom) auftreten. (Zwar können beim Menschen noch weitere Trisomien auftreten; zum einen sind deren Träger jedoch in der Regel nicht lebensfähig oder haben nur eine extrem geringe Lebenserwartung, zum anderen können nur die genannten drei Trisomien mit diesem Test festgestellt werden.) An dem genannten Tag hat der weiter unten auf dieser Seite bereits mehrfach thematisierte „Präna-Test“ (s. Artikel „G-BA lässt Präna-Test als Kassenleistung zu“, „Test auf Down-Syndrom vor Kassenzulassung?“ und „Bluttest auf Trisomien: G-BA leitet Stellungnahme-Verfahren ein“ weiter unten auf dieser Seite) eine weitere – genauer gesagt: die vorletzte – Hürde vor seiner Einführung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der Schwangerschafts-Vorsorgeuntersuchungen genommen.

Genau 23 Monate nach dem generellen Beschluss, diesen Test im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge in besonders gelagerten Fällen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen (s. Artikel „G-BA lässt Präna-Test als Kassenleistung zu“) hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Patientenvertretern (G-BA) die für die Durchführung notwendige Versicherteninformation beschlossen. Zwar muss diese laut der hierzu herausgegebenen Pressemitteilung noch durch das Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden. Da dieses jedoch eben dieser Pressemitteilung zufolge bereits dem erwähnten generellen Zulassungsbeschluss zugestimmt hat, dürfte es sich hierbei nur noch um eine Formalie handeln. Damit wird es wohl dazu kommen, dass dieser Test ab Frühjahr 2022 den in den gesetzlichen Krankenkassen versicherten Müttern in den vorgesehenen Fällen zur Verfügung stehen wird.

Bewertung: Der dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorgelegten Merkblatttext stellt zwar dar, dass das Angebot dieses Tests nur in Fällen greift, in denen es bereits Hinweise auf ein mögliches Vorliegen einer Trisomie 21, 18 oder 13 gibt. Nicht ganz unproblematisch finde ich allerdings, dass er auch zum Einsatz kommen können soll, „wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist“ (S. 11 des Merkblatts; Hervorhebung von mir übernommen). Zwar wird bereits auf S. 4 des Merkblatts betont, alle angebotenen vorgeburtlichen Untersuchungen und Tests erfolgten auf freiwilliger Basis und könnten jederzeit ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. Es ist zwar nicht genau bekannt, in wie vielen Fällen tatsächlich ein Abbruch der Schwangerschaft vorgenommen wird, wenn nach Abschluss aller Untersuchungen das Vorliegen eines Down-Syndroms vorzuliegen scheint (für die anderen hier erwähnten Trisomien gibt es noch weniger verlässliche Angaben). Dennoch gibt es aus der Vergangenheit Hinweise darauf, dass schwangeren Frauen von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zur Inanspruchnahme vorgeburtlicher (pränataler) Diagnostik zumindest mit sanftem Druck geraten wurde. Es liegt nahe, dass insbesondere bei ängstlich veranlagten Frauen hier eine Tendenz entstehen könnte, diese Untersuchung auch ohne Vorliegen konkreter Hinweise in Anspruch zu nehmen. Der Broschüre selbst ist zu entnehmen, dass es in fünf von zehntausend Fällen zu einem „falsch positiven“ Ergebnis des Tests kommen kann (das bedeutet, dass die Möglichkeit des Vorliegens eines Down-Syndroms angezeigt wird, obgleich keine solche vorliegt). Auch kann in einem von zehntausend Fällen übersehen werden, dass ein solches vorliegt (für die Trisomien 18 und 13 liegen diese Wahrscheinlichkeiten höher; um wieviel, ist nicht angegeben).

Die Broschüre macht eindeutig klar, dass der Bluttest allein keinen sicheren Aufschluss darüber geben kann, ob eine der genannten Trisomien bei dem Ungeborenen vorliegt oder nicht. Ist der Test positiv (d.h., zeigt er ein mögliches Vorliegen einer Trisomie an), so wird in jedem Fall angeraten, dieses Ergebnis mittels einer Chorionzottenbiopsie bzw. einer Amniozentese überprüfen zu lassen (zur Zuverlässigkeit dieser Diagnoseverfahren habe ich bei den Recherchen zu diesem Artikel keine Angaben ausfindig machen können). Das bedeutet, dass zumindest bei einem positiven Ergebnis die Durchführung eines weiteren Tests angeraten wird (der erwähnten Einlassung in dem Merkblatt zufolge kann diese selbstverständlich auch verweigert werden). Dieser Test (die beiden genannten gehören bereits zum bisherigen Standard-Instrumentarium für die vorgeburtliche Feststellung von Trisomien 21, 18 und 13) gehört dann aber zu denen, die im Gegensatz zu dem Bluttest durchaus mit Gefahren für das ungeborene Leben verbunden sind und somit eben auch das Leben Ungeborener gefährden können, die nicht von einer der genannten Trisomien betroffen sind. Und andererseits gibt der Test (wenn auch nur in sehr wenigen Fällen) keine vollständige Sicherheit des Nicht-Vorliegens einer dieser Trisomien. Wird nun bei besonders ängstlich veranlagten Frauen ein solcher Test durchgeführt, so wird jedenfalls ein Teil dieser Frauen in Kenntnis dieser Tatsache trotz eines negativen Ergebnisses auf weiterer Diagnostik bestehen was wiederum das Leben dieser Ungeborenen gefährdet, wobei diese mit einer noch größeren Wahrscheinlichkeit als im Falle eines positiv ausgefallenen Bluttests gar nicht von einer Trisomie betroffen sein werden.

Somit stellt sich die Frage nach dem Sinn der Durchführung dieses Tests und im Zusammenhang damit die Frage nach der Angemessenheit seiner Finanzierung durch die Versichertengemeinschaft der GKV. Fassen wir noch einmal zusammen: Es handelt sich um einen den bisherigen Diagnoseverfahren vorgeschalteten Test. Dieser bietet zwar den Vorteil, dass er nicht-invasiv ist, zu seiner Durchführung also kein Eingriff in den mütterlichen Körper bzw. in die Plazenta erforderlich ist. Da er jedoch keinen definitiven Aufschluss über das Vorliegen einer der mit ihm erfassbaren Trisomien zu geben vermag, wird bei einem positiven Ergebnis in der Regel eines der bereits etablierten invasiven Diagnoseverfahren zur Anwendung kommen. Auch im Falle eines negativen Testergebnisses ist dies bei entsprechender psychischer Verfassung bzw. Veranlagung der schwangeren Frau nicht gänzlich auszuschließen. Folglich kann allenfalls in einer begrenzten Anzahl von Fällen die Durchführung eines invasiven Diagnoseverfahrens vermieden werden. Im Ergebnis kann es selbstverständlich positiv bewertet werden, wenn auch nur in einer geringen Anzahl von Fällen Diagnoseverfahren vermieden werden können, die mit einer Gefahr für die Gesundheit der schwangeren Frau bzw. das Leben des ungeborenen Kindes verbunden sind. Dem gegenüber steht jedoch die nicht auszuschließende Möglichkeit einer wenn auch wohl sehr geringen Anzahl unnötiger invasiver Tests.

Auf der anderen Seite steht die moralisch-ethische Dimension vorgeburtlicher („pränataler“) Diagnostik an und für sich. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass allein eine voraussichtliche Behinderung des ungeborenen Kindes (zumindest dem Buchstaben des Gesetzes nach) nicht als Grund für den Abbruch einer Schwangerschaft dienen darf. Ein solcher ist vielmehr nur dann zulässig, wenn von der Fortsetzung der Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter ausgeht. Dennoch wird offenbar ein recht großer Teil der Schwangerschaften abgebrochen, wenn das Vorliegen eines Down-Syndroms befürchtet wird (für die anderen Trisomien liegen offenbar wegen der geringeren Häufigkeit ihres Auftretens – keine entsprechenden Zahlen vor). Folglich scheint es so zu sein, dass allein die Erwartung, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen, einen großen Teil der betroffenen Frauen befürchten lässt, dies werde ihre seelische Gesundheit in für sie nicht akzeptabler Weise beeinträchtigen. In dieser gesellschaftlichen Situation befinden wir uns bereits. Es stellt sich also („nur“?) die Frage, ob die Finanzierung des Präna“-Tests durch die Versichertengemeinschaft der GKV diese noch weiter verschärfen wird.

Es ist wichtig, noch einmal kurz das Dilemma zu verdeutlichen: Auf der einen Seite steht das Recht der Mutter auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (wobei zu letzterer eben auch das Recht auf die Erhaltung der seelischen Gesundheit zählt), auf der anderen Seite das auf derselben Bestimmung fußende Recht des ungeborenen Kindes auf Leben (Links zu ausführlichen Darstellungen der Auffassungen des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] zu dieser Frage finden Sie im letzten Artikel unten auf dieser Seite). Die notwendige Abwägung der Gewichtigkeit dieser beiden Rechtspositionen wird erkennbar noch dadurch erschwert, dass sich beide aus ein und derselben Bestimmung herleiten. Zu argumentieren, der Begriff „Leben“ stehe in der Bestimmung an erster Stelle und habe daher eine Vorrangstellung vor der körperlichen Unversehrtheit (= Gesundheit), halte ich für der Problematik keinesfalls angemessen, zumal die beiden Begriffe durch ein „und“ miteinander verbunden sind, wodurch die Gleichrangigkeit hinreichend charakterisiert sein sollte. Dennoch stellt sich die Frage, wie angemessen es sein kann, über das Lebensrecht eines Individuums zu urteilen, das sich im Stadium des Heranwachsens zu einem Menschen befindet, und von dem selbst im Falle des Zutreffens der Diagnose „Down-Syndrom“ in keiner Weise absehbar ist, welchen Verlauf sein Leben nehmen wird. Mir ist bekannt, dass Eltern eines schwer behinderten Kindes sich bei der Beschäftigung mit der Frage, ob sie ein weiteres Kind wollten, angesichts der Möglichkeit auch dessen Behinderung genau diese Frage gestellt haben.

Zurück zur Fragestellung: Aktuell kann die Frage nach einer möglicherweise vorliegenden Trisomie nur mittels einer Diagnostik beantwortet werden, die mit Gefahren für die Gesundheit der Mutter und das Leben des ungeborenen Kindes verbunden ist. Es ist davon auszugehen, dass dies eine Hemmschwelle für deren Inanspruchnahme darzustellen vermag. Künftig steht (jedenfalls im Extremfall) auch für werdende Mütter, bei denen konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Trisomie bei ihrem Ungeborenen nicht vorliegen, allein wegen einer psychischen Disposition ein Diagnoseverfahren zur Verfügung, das weder ihre eigene Gesundheit noch das Leben des ungeborenen Kindes zu gefährden vermag. Diesem soll bei einem positiven Ergebnis regelhaft ein nicht ungefährliches Verfahren folgen (zur Vermeidung von Missverständnissen: dies gilt selbstverständlich für alle durchgeführten Tests). Folgender psychologische Aspekt ist zumindest denkbar: Ein an sich ungefährliches Testverfahren steht ohne finanziellen Aufwand zur Verfügung. Dieses wird durchgeführt und ergibt einen positiven Befund. Dieser soll nun durch ein sicherere Ergebnisse versprechendes, aber nicht mehr ungefährliches Diagnoseverfahren abgesichert werden. Selbst Frauen, die vor diesem Verfahren wegen der mit ihm verbundenen Risiken in der heutigen Situation zurückgeschreckt wären, stehen nun vor der Frage: „Ich habe den ersten Schritt gemacht. Was hindert mich daran, nun den zweiten zu tun? Wäre das nicht unsinnig?“

Wie der letzte Teil dieser Erörterung gezeigt hat steht zu befürchten, dass mit der nun als so gut wie sicher anzusehenden Einführung des Präna-Tests die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme vorgeburtlicher Diagnoseverfahren zur Feststellung von Trisomien 21, 18 und 13 weiter gesenkt wird. Zudem bleibt die Frage nach dem weiteren Verfahren offen: Welche Folgen hat es, wenn nach einem positiven Testergebnis keine weitere Diagnostik in Anspruch genommen wird? Können Frauen allein auf der Basis dieses Testergebnisses eine Gefährdung ihrer seelischen Gesundheit wegen einer möglichen Trisomie als Grund für einen Abbruch dieser Schwangerschaft anführen?

Ein Letztes: Es ist aus der Sicht eines behinderten Menschen generell problematisch, wenn die Entscheidung über die Austragung eines womöglich von einer Behinderung betroffenen Fötus von den Eltern negativ getroffen wird, weil hiermit indirekt eine Entscheidung über den Wert dieses Lebens getroffen wird. Ich betone ausdrücklich, dass ich mit dieser Bemerkung keinesfalls den betroffenen Eltern das Recht auf diese Entscheidung nehmen möchte; mir ist aus eigener Anschauung bewusst, welche Einschränkungen das Leben mit einem behinderten Kind den betroffenen Familien auferlegt. Dennoch lege ich andererseits Wert auf die Feststellung, dass selbst schwer behinderte Kinder mit einer eingeschränkten Lebenserwartung Glücksmomente erfahren können. In einem weitaus stärkeren Maße gilt dies, wenn der von einer Behinderung betroffene Mensch das Erwachsenenalter erreichen kann. Während dies bei den von den Trisomien 18 und 13 betroffenen Kindern nach den in diesem Artikel verlinkten Informationen praktisch nie der Fall ist, geschieht es bei Menschen mit Down-Syndrom in der überwiegenden Zahl der Fälle. Obgleich ein großer Teil dieser Menschen lebenslang auf begleitende Hilfen im Leben angewiesen bleibt, haben sie andererseits auch die Fähigkeit, der Gesellschaft etwa durch künstlerische Betätigung etwas zurückzugeben. Unter diesem Aspekt appelliere ich an den Staat, an die Parteien: Erweitern Sie die Möglichkeiten, Familien mit behinderten Kindern zu helfen! Wie das gehen kann, habe ich bereits 2019 in dem Artikel PID, PND und das Lebensrecht behinderter Menschen ab Seite 30 näher beschrieben. Vielleicht könnte eine neue Bundesregierung dazu bewegt werden, dieses Problem anzugehen.


Gefahr für ungeborenes Leben vom Europäischen Parlament?

Am 24. Juni 2021 haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit 378 zu 255 Stimmen bei 42 Enthaltungen für einen Entschließungsantrag gestimmt, mit dem die EU-Mitgliedstaaten u.a. aufgefordert werden, den universellen Zugang zu sicherem und legalem Schwangerschaftsabbruch sicherzustellen und zu garantieren, dass ein Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen in der Frühschwangerschaft und darüber hinaus legal ist, wenn die Gesundheit der schwangeren Person in Gefahr ist“. Die Entschließung war von dem kroatischen sozialdemokratische Abgeordneten Predrag Matić eingebracht worden. Dieser begründete sie u.a. damit, dass Abtreibungsverbote die Gesundheit von Frauen gefährdeten: 23.000 von ihnen würden deshalb jedes Jahr ihr Leben verlieren. Es sei bekannt, dass eine Abtreibung „eine schwierige Entscheidung für jede Frau“ sei, aber es müsse eine Entscheidung bleiben. Abtreibungsverbote würden Frauen dazu zwingen, entweder heimlich abzutreiben oder die Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen. Auch die Weigerung von Ärzt*innen, aus Gewissensgründen an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, wurde kritisiert. Zwar könne niemandem verboten werden, medizinische Leistungen aus persönlichen Gründen zu verweigern; in diesen Fällen müssten aber Gesundheitseinrichtungen einen Arzt oder eine Ärztin haben, die sich in der Lage sieht, diese Leistung zu erbringen“.

Obwohl der Entschließungsantrag sich den Angaben zufolge bei weitem nicht auf dieses Thema beschränkt und jedenfalls einem Teil der weiteren beschriebenen Anliegen durchaus zuzustimmen ist (so etrwa Forderungen nach einer besseren sexualmediznischen Versorgung oder umfassenderer Sexualaufklärung in Schulen), muss diese Entschließung hinsichtlich des Lebensschutzes (nicht nur) möglicherweise behinderter Kinder Besorgnis auslösen. Zwar ist einzuräumen, dass die rechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch oft so streng sind, dass Frauen tatsächlich in nicht nur seelische Nöte getrieben und mit diesen allein gelassen werden, sondern auch durch den Zwang zur Austragung der Schwangerschaft Gesundheitsgefahren bis hin zu Todesgefahren ausgesetzt sind. Dass in diesen Fällen und auch z.B. nach einer Vergewaltigung Frauen ein unkomplizierter Zugang zum Abbruch der Schwangerschaft offenstehen sollte, ist legitim und sollte keinesfalls in Frage gestellt werden. Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass der Abbruch einer Schwangerschaft immer mit der Vernichtung werdenden Lebens verbunden ist. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Abbruch einer Schwangerschaft – zumal dann, wenn der Fötus möglicherweise von einer Behinderung betroffen ist – auch mit einer Entscheidung über den Wert dieses Lebens verbunden ist – zwangsläufig verbunden sein muss. Von jeher wird als Argument für eine Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen ins Feld geführt: die Frau müsse selbst über ihren Körper entscheiden können. Im Prinzip ist ja hiergegen wenig einzuwenden wenn es da nicht den kleinen, aber eben sehr feinen Unterschied gäbe, dass es im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs eben nicht nur um den Körper der Frau geht, sondern um noch einen weiteren, den sie in sich trägt. Dieser ist das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden jedenfalls in Deutschland auch bereits Träger von Grundrechten und hat damit ein Recht auf den vom Staat grundgesetzlich garantierten Lebensschutz. Es muss die Frage gestellt werden dürfen, ob sich die Menschen, die für eine vollständige Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs stark machen, überhaupt jemals eingehend mit dieser Problematik auseinandergesetzt habven. Daher habe ich die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments hierauf mit einer E-Mail aufmerksam zu machen versucht, die ich am 26./27. Juni 2021 jeder/jedem Abgeordneten persönlich übermittelt habe (wie ich erst nachträglich festgestellt habe, habe ich darin in der Einleitung ein falsches Abstimmungsergebnis wiedergegeben; das oben angegebene ist das korrekte). Eine Liste dieser Abgeordneten finden Sie hier. Wer mag, kann diese Aktion gerne unterstützen.

Antworten: Bei meiner Aktion hatte ich gehofft, einen Teil der Europa-Abgeordneten, die für diese Resolution gestimmt hatten, „aus der Reserve zu locken“ und herauszufinden, ob sie sich über die von mir skizzierten Auswirkungen einer Umsetzung der in der Resolution enthaltenen Forderungen Gedanken gemacht hatten. Dabei war ich mir des Risikos bewusst, ausschließlich oder überwiegend Antworten aus dem Kreis der Abgeordneten zu erhalten, die gegen sie gestimmt hatten. Diese Befürchtung hat sich bestätigt, wenn auch erfreulicherweise nicht in ihrer schlimmsten Ausprägung: Vom 28.06. bis zum 18.08.2021 erhielt ich insgesamt acht Reaktionen. Von diesen Antworten entfielen fünf auf Abgeordnete aus der EVP-Fraktion (CDU/CSU), eine auf die ID-Fraktion (AfD) und zwei aus den Reihen der Sozialdemokraten. Wie man sich leicht denken kann, argumentierten die Abgeordneten aus den beiden erstgenannten Fraktionen aus dem christlich-konservativen Blickwinkel und drückten jeweils ihre vollständige Ablehnung der Matić-Resolution sowie ihr Bedauern darüber aus, dass eine Gegen-Resolution nicht die notwendige Mehrheit der Abgeordneten gefunden habe. Da dies meinem Anliegen nicht weiterhalf, verzichte ich darauf, diese Antworten im Einzelnen wiederzugeben.

Zwei weibliche Abgeordnete aus den Reihen der SPD haben sich jedoch sehr wohl mit den von mir vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt und mir die Beweggründe erläutert, weshalb sie trotz ihrer Anerkennung des Lebensrechts von Menschen mit Behinderung für diese Resolution gestimmt haben. Lesen Sie bitte die Reaktionen von Delara Burkhardt und Maria Noichl im Einzelnen nach.


BVerwG präzisiert den Begriff der „schweren Behinderung

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit einem Urteil vom 5. November 2020 (Az.: 3 C 12.19) den Begriff der „schwerwiegenden Erbkrankheit“ präzisiert. Der Inhalt dieses Begfriffes wird wichtig, wenn es um die Frage geht, wann Eltern vor einer künstlichen Befruchtung ausnahmsweise eine genetische Untersuchung der befruchteten Eizelle (Präimplantationsdiagnostik PID) durchführen lassen dürfen.

PID ist in Deutschland dann erlaubt, wenn sie der Verhinderung der Vererbung einer schwerwiegenden Erbkrankheit dient. Ob diese Voraussetzung vorliegt, hat eine eigens zu diesem Zweck eingesetzte Ethikkommission zu prüfen. In dem nun vom BVerwG entschiedenen Fall hatte zuständige Ethikkommission des Landes Bayern die Zustimmung zur PID verweigert. Sie war der Auffassung, die dem per künstlicher Befruchtung gezeugten Kind drohe keine schwere Behinderung im Sinne von § 3 Satz 2 Embryonenschutzgesetz (ESchG). Der potenzielle Vater leide an einer vererbbaren Muskelerkrankung, die an Schwere nicht der dort genannten Muskeldystrophie vom Typ Duchenne“ gleichzusetzen sei. Die Auswirkungen der bei ihm vorliegenden Erkrankung zeigten sich häufig erst in einem in einem höheren Lebensalter; schwere Verläufe bereits im Kindesalter seien nur zu erwarten, wenn die Erkrankung über die Mutter vererbt werde. Dieser Auffassung widersprach in letzter Instanz das BVerwG: Die Nennung des Muskeldystrophie vom Typ Duchenne in § 3 Satz 2 ESchG stelle keinen Maßstab für die Beurteilung der Frage dar, was unter einer schwerwiegenden Erbkrankheit im Sinne von Abs. 2 Satz 1 des § 3a ESchG zu verstehen sei. Eine solche liege der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift zufolge insbesondere dann vor, wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des  Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von anderen  Erbkrankheiten wesentlich unterscheide. Zudem sei bei der Abwägung u.a. auch zu berücksichtigen, ob bereits ein Elternteil von dieser Erbkrankheit betroffen sei. Weitere Einzelheiten entnehmen Sie bitte der am Tag der Entscheidung veröffentlichten Pressemeldung. Die Veröffentlichung des kompetten Wortlauts der Entscheidung ist nach Auskunft der Pressestelle des BVerwG in etwa zwei Monaten zu erwarten.

Nach meiner Auffassung stellt diese Entscheidung einen weiteren Angriff auf behindertes ungeborenes Leben dar. Selbstverständlich kann darüber gestritten werden, ob eine außerhalb des menschlichen (weiblichen) Körpers befruchtete Eizelle bereits „Leben“ darstellt. Dennoch muss auch der Standpunkt vertreten werden dürfen, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle „Leben entsteht unabhängig davon, wo diese Verschmelzung stattfindet. Hiervon geht offenbar auch Abs. 1 des § 8 ESchG aus. Insoweit steht die Verhinderung einer Schwangerschaft durch Nichteinpflanzen eines befruchteten Eis, dessen Erbgut mittels PID als Überträger einer schwerwiegenden Erbkrankheit identifiziert worden ist, in die Gebärmutter der Frau dem Abbruch einer Schwangerschaft zumindest qualitativ gleich. Daher müssen für die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens dieselben Maßstäbe angelegt werden, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit des Abbruchs einer Schwangerschaft wegen einer (vermeintlich) festgestellten drohenden Behinderung des Ungeborenen aufgestellt hat. Hierzu ist festzustellen, dass die Anforderungen an die Beratung vor Durchführung einer PID (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ESchG) anders als § 219 Abs. 1 Satz 4 StGB nicht davon sprechen, dass diese durch Rat und Hilfe dazu beitragen [soll], die in Zusammenhang mit der  Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage  abzuhelfen“. Nicht unmittelbar deutlich ist zudem, auf welcher Grundlage die jeweilige Entscheidung der zuständigen Ethikkommission getroffen wird. Aus der Perspektive des Lebensschutzes und der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung wäre zu wünschen, dass zu ihr auch Menschen zu der Frage gehört werden, wie sie ihre Lebensqualität beurteilen (auch in die verpflichtende Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch sollen ja die Erfahrungen behinderter Menschen bzw. der Eltern behinderter Kinder einfließen). Letztlich ist festzuhalten, dass kein Außenstehender über das Lebensrecht eines anderen Menschen bestimmen sollte. Folglich müssen auch an alle Entscheidungen über das Lebensrecht gezeugter, aber noch nicht geborener Embryonen ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle höchste Sorgfaltsansprüche gestellt werden. Dem Leben ist wo immer möglich Vorrang einzuräumen. Eine voraussichtliche Behinderung darf hier keinesfalls das einzige Kriterium sein. Allerdings ist zu beklagen, dass die auch vom Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber geforderte Verbesserung der Hilfen für Eltern mit behinderten Kindern erkennbar noch immer nicht in die Wege geleitet worden ist. Auch diese sollte ein unverzichtbarer – Beitrag dazu sein, werdenden Eltern in jeder Phase ihrer Familienplanung die Entscheidung für ein behindertes Kind und gegen einen Abbruch oder eine Verhinderung der Schwangerschaft zu erleichtern.



Polen verbietet Abtreibung wegen vorgeburtlicher Schädigung

Das höchste polnische Gericht, dessen Legitimation allerdings international durchaus nicht unumstritten ist, hat am 22. Oktober 2020 das ohnehin strenge Recht zum Schwangerschaftsabbruch weiter verschärft. Es erklärte die Regelung, nach der eine Missbildung des ungeborenen Kindes den straffreien Abbruch der Schwangerschaft ermöglichte, für unvereinbar mit dem in der polnischen Verfassung garantierten Recht auf Leben. Diese Entscheidung wird auch international als Schlag gegen die Menschenrechte kritisiert. Allerdings frage ich mich angesichts dieser Kritik, ob nicht die Menschenrechte und damit das Recht auf Leben nicht auch dann zu gelten haben, wenn das fragliche Leben von einer Behinderung betroffen ist.

Das deutsche Verfassungsgericht hatte hier eine schwierige Abwägung zwischen dem vom Grundgesetz gleichermaßen garantierten Recht des Ungeborenen auf Leben und dem Recht der Frau auf (auch seelische) Unversehrtheit zu treffen. In seinen im letzten Artikel auf dieser Seite verlinkten Entscheidungen hat es schwierige Kompromisse gefunden, die jedoch aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung nicht zu befriedigen vermögen (vgl. auch die im nachfolgenden Artikel verlinkte Ausarbeitung PID und PND und das Lebensrecht behinderter Menschen“). Derlei schwierige Abwägungen dürften nach vordergründiger Betrachtung dem polnischen Verfassungsgericht erspart geblieben sein (einen [noch dazu deutschsprachigen] Text der Entscheidung habe ich am 24.10.2020 nach kursorischer Suche noch nicht finden können): Artikel 38 der polnischen Verfassung garantiert jedem Menschen (worunter den Berichten nach das polnische Verfassungsgericht auch Ungeborene versteht) den „rechtlichen Schutz des Lebens“; anders als in Art. 2 des Grundgesetzes erstreckt sich dieser Schutz jedoch offenbar nicht auf die „körperliche Unversehrtheit“, also die Gesundheit. Somit wird aus dieser Sicht die vom Gericht offensichtlich vorgenommene Absolut-Setzung des Lebensschutzes zumindest nachvollziehbar.

Bejubeln kann ich diese Entscheidung dennoch nicht. Einfach den Lebensschutz absolut zu setzen, die Mutter bzw. die Eltern dann aber mit der Tatsache allein zu lassen, gezwungenermaßen ein Kind mit Behinderung zur Welt gebracht zu haben, zeugt nicht von hinreichendem Verantwortungsbewusstsein für die eigenen Bürger. Zwar kenne ich wie bereits erwähnt die Entscheidung nicht im Einzelnen; ich habe jedoch Zweifel, ob in einem Land wie dem katholisch geprägten Polen nicht einfach die Tatsache eines Kindes mit Behinderung der Barmherzigkeit der Mitmenschen überlassen wird, die dann wohl eher darin bestehen wird, dieses Kind als einen „Fluch Gottes“ anzusehen und Kind und Eltern entsprechend zu behandeln. Wenn eine Entscheidung für die Geburt eines Kindes, dessen (wahrscheinliche) Behinderung vorab bekannt ist, ermöglicht oder gar wie in diesem Fall staatlich verordnet werden soll, dann müssen auch entsprechende Hilfen zur Verfügung stehen, um diesem Kind ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Und die Beachtung der Menschenwürde und deren Schutz ist gemäß Artikel 30 der polnischen Verfassung „Verpflichtung der öffentlichen Gewalt“. Ob das Gerich dies bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat? Diese Frage muss wohl jedenfalls vorläujfig unbeantwortet bleiben.


G-BA lässt Präna-Test als Kassenleistung zu

Auf seiner Sitzung vom 19. September 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen, Kliniken und Patientenvertretern (G-BA) beschlossen, den so genannten „Präna“-Test im Rahmen der Schwangerschafts-Vorsorge in besonders gelagerten Ausnahmefällen als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen zuzulassen (vgl. die Artikel „Test auf Down-Syndrom vor Kassenzulassung?“ und „Bluttest auf Trisomien: G-BA leitet Stellungnahme-Verfahren ein“ weiter unten auf dieser Seite). Dies geschah, obwohl offensichtlich einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages in einem Schreiben vom 12. September 2019 um eine Aussetzung des Verfahrens gebeten hatten. Zwar ist der G-BA offenbar bemüht gewesen, die Finanzierungsmöglichkeit dieses Tests durch die gesetzlichen Krankenkassen möglichst eng zu begrenzen; allerdings wird aus einem von 12 im „Netzwerk gegen Pränataldiagnostik“ zusammengeschlossenen Verbänden vorgelegten Argumentationspapier aus dem April 2019 deutlich, dass die vorgesehene Begrenzung auf so genannte „Risikoschwangerschaften“ bereits bei der Zulassung der heute angewendeten, mit Risiken für den Fötus verbundenen Diagnoseverfahren nicht funktioniert hat (vgl. S. 1, I des Papiers).

Der Versuch der Rechtfertigung des Beschlusses durch die sehr umfangreiche vom G-BA zu diesem Vorgang vorgelegte Pressemeldung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gremium sich mit ihm auf ein gesellschaftspolitisch heikles Terrain begibt. Das wird nicht zuletzt aus dem Tagesthemen-Kommentar dieses Abends deutlich. Wenngleich der Kommentator darin übersieht, dass selbst die Begrenzung der Finanzierung dieses Tests auf so genannte „Risikoschwangerschaften keime Gewähr dafür zu bieten vermag, dass der von ihm zu Recht befürchtete „Dammbruch“ (die Zulassung weiterer Blutuntersuchungen auf genetische Abweichungen) nicht doch stattfindet, ist seinen Ausführungen weitestgehend zuzustimmen. Über die von ihm geäußerten Befürchtungen hinaus besteht zudem die noch erheblich größere Gefahr, dass auch Eltern von Kindern, deren Behinderung nicht vor der Geburt feststellbar ist, mit der Frage: „Warum habt ihr denn nicht...?“ konfrontiert werden. Schließlich dürfte das Wissen, welche Behinderung vorgeburtlich feststellbar ist und welche nicht, in der Bevölkerung nicht so weit verbreitet sein.

Und selbst das ist nur die berühmte „Spitze des Eisbergs“: Wer möchte schon ausschließen, dass etwa Krankenkassen Mütter mit vermeintlichen „Risikoschwangerschaften“ zu einem „Präna“-Test drängen, verbunden mit dem Hinweis, dass sie hierdurch der Versichertengemeinschaft hohe Kosten ersparen könnten? Und selbst wenn man meint, das sei denn doch ein wenig zu weit hergeholt, möchte ich noch ein anderes Argument ins Feld führen: das Moment der vorgesehenen Beratung rund um die Anwendung dieses Tests. Eine Beratung ist nach geltendem Recht auch notwendig, wenn eine Frau wegen einer durch vorgeburtliche Diagnostik festgestellten (möglichen) Behinderung ihres ungeborenen Kindes einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchte. Den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1975 und 1993 zufolge soll diese Beratung zum Ziel haben, der fraglichen Frau Wege zur Fortsetzung der Schwangerschaft aufzuzeigen. Dass die für diese Beratung aufgestellten Regeln und Grundsätze dieses Ziel nicht wirklich sicherzustellen vermögen, habe ich bereits in meinem Artikel PID, PND und das Lebensrecht behinderter Menschen herausarbeiten können (vgl. dort S. 25 ff.). Wer garantiert nun, dass die für die Inanspruchnahme dieses Tests noch zu erarbeitende Beratung den an sie zu stellenden Anforderungen gerecht werden kann? Diese soll vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) entwickelt werden. Jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung der Struktur dieses Gremiums habe ich zumindest Zweifel, ob hier überhaupt die Sichtweise der von der Problematik betroffenen Menschen in die Beratungen einfließen kann. Nur dies könnte aber aus meiner Sicht eine wenigstens geringe Gewähr dafür bieten, dass die Beratung im Sinne des erwähnten Ziels effektiv gestaltet werden kann.

Zudem steht die Entscheidung des G-BA im Widerspruch zu Geist und Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention. Statt aus Menschen mit Behinderung gleichwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft werden zu lassen, sollen sie erst gar nicht in sie hineingeboren werden dürfen. Und selbst wenn das nur einen bestimmten Kreis behinderter Menschen betreffen soll, befördert ein solches Vorhaben letztendlich die Diskriminierung und Ausgrenzung auch der nicht unmittelbar von dieser Maßnahme betroffenen Menschen mit Behinderung. Jedenfalls der mit weniger Fachwissen ausgestattete Teil der Bevölkerung wird zu diskriminierendem und ausgrenzendem Verhalten ermuntert werden: „Was willst du denn hier, warum haben deine Eltern dich nicht verhindert?

Nun ist die Politik gefragt, genauer: Das Bundesministerium für Gesundheit. Es hat die Möglichkeit, den Beschluss des G-BA zu beanstanden und damit zu Fall zu bringen. Derzeit erwäge ich, mich direkt an den Bundesgesundheitsminister zu wenden und ihm unter Beschreibung der aus meiner Sicht hohen gesellschaftlichen Risiken der Zulassung dieses Tests um eine Beanstandung des Beschlusses zu bitten. Zuvor möchte ich jedoch auch Reaktionen von Verbänden der Selbsthilfe behinderter Menschen abwarten, deren Mitglieder von dieser Entscheidung betroffen sind. Dass solche am Donnerstag/Freitag auf deren Webseiten noch nicht verfügbar waren, könnte mit der zeitgleich zum G-BA-Beschluss laufenden Fachmesse RehaCare zusammengehangen haben, auf der traditionell auch diese Verbände vertreten sind.


Weitere Infos zum Präna-Test

Mit Datum vom 23. April 2019 hat mir die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag MdB, auf meine am 8. April 2019 im Vorfeld der Debatte des Deutschen Bundestages zum „Präna-Testversandte E-Mail (vgl. den nachfolgenden Artikel) geantwortet; das in dieser Antwort enthaltene Datum „11. April“ ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sie ihr erst an diesem Tag vorgelegt wurde, oder beruht auf einer Verwechslung (mit dem Tag der Debatte?). Sie betont in Ihrem Schreiben einerseits die Verantwortung (wessen?) für behinderte Menschen und ihre Familien sowie ihr Bestreben, dass die Zulassung dieses Tests als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zur Ablehnung von Menschen mit Behinderung führen dürfe. Andererseits lassen ihre Ausführungen den Schluss zu, dass sie beim Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassenn und Patientenvertretern (G-BA) die alleinige Verantwortung für diese Zulassung sieht, und benennt die hierfür von ihm einzuhaltenden Kriterien.

Dies habe ich am 1. Mai 2019 (an diesem Tag fand ich das Schreiben in meinem Briefkasten vor) zum Anlass genommen, ihr unmittelbar per E-Mail zu antworten. Dabei habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Bedeutung der Entscheidung über diese Zulassung weit über den eigentlichen Vorgang hinausgeht und diese auch Folgen für die Entwicklung des Menschenbildes in der bundesdeutschen Gesellschaft haben kann. Für deren Beurteilung reichten jedoch die vom G-BA anzulegenden Kriterien nicht aus, weshalb ihm nicht die alleinige Verantwortung für diese Entscheidung zugeschoben werden dürfe. Die endgültige Entscheidung sei ohnehin dem Bundesgesundheitsministerium vorbehalten.


Deutscher Bundestag berät über Präna-Test

Am Vormittag des 11. April 2019 hat der Deutsche Bundestag in einer zweistündigen Debatte über den Test auf Trisomien beraten, der bereits Gegenstand des Beratungsverfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hinsichtlich einer Zulassung als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Schwangeren-Vorsorgeuntersuchungen ist (s. auch den nachfolgenden Artikel). Die Live-Übertragung dieser „Orientierungsdebatte“ habe ich verfolgt und möchte an dieser Stelle einige erste Eindrücke wiedergeben. Wenn ab Montag kommender Woche (15. April 2019) der stenografische Bericht zu dieser Debatte verfügbar ist, werde ich darüber hinaus die einzelnen Redebeiträge genauer analysieren und an dieser Stelle eine Zusammenfassung anbieten. Wer keine Gelegenheit hatte, die Debatte live zu verfolgen, und meine Zusammenstellung nicht abwarten möchte, kann bereits jetzt auf der Homepage des Deutschen Bundestages die einzelnen Reden als Videos abrufen. Meine Hoffnung auf eine wirklich eingehende und damit der gesellschaftlichen Bedeutung des Themas angemessene Debatte wurde allerdings ein wenig enttäuscht: Nach einer zwischen den Fraktionen getroffenen Verabredung wurden keine Zwischenfragen zugelassen und die Redezeit strikt auf drei Minuten begrenzt. Dass ich diese Begrenzung der Redezeit als dem Thema nicht angemessen empfunden habe, habe ich im Anschluss an die Live-Übertragung dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble, in einer E-Mail verdeutlicht.

Insgesamt fiel auf, dass der ethische Aspekt des Themas häufig auf die Frage verkürzt wurde, ob es zulässig sei, Frauen von der Inanspruchnahme des Tests auszuschließen, die ihn nicht selbst bezahlen können. Nur in wenigen Beiträgen wurde er auf die Frage erweitert, welche gesellschaftlichen Folgen sich aus der Anwendung des Tests u.a. für die Akzeptanz von Behinderung und damit letztlich für die gesellschaftliche Anerkennung des Lebensrechts von Menschen mit Behinderung ergeben. Bemerkenswert war auch, dass einige Redner/innen sich ausdrücklich für das „Recht auf Nichtwissen“ der schwangeren Frau aussprachen, dabei aber ganz offensichtlich übersehen (wollten?), dass gerade das Angebot eines solchen Tests einen gesellschaftlichen Druck zu erzeugen vermag, der dieses Recht auf Nichtwissen in Frage zu stellen geeignet ist. Zudem wurde immer wieder die Ungefährlichkeit dieses Tests für Mutter und Kind betont: die mit den herkömmlichen Tests wie etwa der Fruchtwasseruntersuchung verbundenen Risiken einer Fehlgeburt gebe es nicht. Geflissentlich übersehen wurde in allen diesen Redebeiträgen offensichtlich, dass dies nur bedingt richtig ist: fällt der Test positiv aus, zeigt er also das Vorliegen einer Trisomie an, so wird seitens der Hersteller zur Absicherung die Durchführung eines der herkömmlichen Tests empfohlen (s. Ziffern 2.1 [S. 7] und 2.2.3 [S. 9] des beim G-BA eingereichten Antrags [vgl. den Artikel „Test auf Down-Syndrom vor Kassenzulassung?“ weiter unten auf dieser Seite]). Das bedeutet im Klartext, dass diese Frauen (und ihre ungeborenen Kinder) nach wie vor den mit ihnen verbundenen Risiken ausgesetzt sein werden. Viele der Redner/innen betonten die Notwendigkeit, das Angebot eines solchen Tests durch die gesetzlichen Krankenkassen solle mit einem entsprechenden Beratungsangebot verbunden sein, das auch über die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Hilfen für behinderte Kinder und ihre Familien informieren müsse. Hier muss allerdings an die von mir in meinem Artikel PID und PND und das Lebensrecht behinderter Menschen gestellte Frage erinnert werden, worüber denn diese werdenden Eltern eigentlich beraten werden sollen (vgl. dort S. 31). Nur einige wenige Abgeordnete setzten sich intensiv mit den Folgen auseinander, die mit den verbesserten Möglichkeiten genetischer Tests im Rahmen der pränatalen Diagnostik unter anderem für die gesellschaftliche Akzeptanz von Behinderung und die Stellung behinderter Menschen in der Gesellschaft verbunden sind, und machten deutlich, dass sie diese für unerwünscht halten.

Anlässlich der entsprechenden Berichterstattung im „Bericht aus Berlin“ vom 7. April 2019 hatte ich mich am darauffolgenden Tag kurzfristig entschlossen, jedenfalls einigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages per E-Mail meinen Artikel „PID und PND und das Lebensrecht behinderter Menschen“ zukommen zu lassen. Dabei habe ich mich auf die jeweiligen gesundheits- und behindertenpolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Fraktionen beschränkt. Da AfD und FDP die letztgenannten Posten offenbar nicht besetzt haben*), habe ich hier als Ersatz-Ansprechpartner den Sprecher für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bzw. des Arbeitskreises „Teilhabepolitik“ kontaktiert. Am 10.04.2019 erhielt ich hierzu eine ausführliche Reaktion aus dem Büro der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg; diese hatte ich über den genannten Adressatenkreis hinaus angeschrieben, weil sie im „Bericht aus Berlin“ (s.o.) zu Wort gekommen war; meine unmittelbar darauf verfasste Antwort finden Sie in diesem Dokument ebenfalls. Über diese Aktion hinaus werde ich den genannten Artikel nach einer genauen Analyse der Redebeiträge weiteren Abgeordneten mit der Frage übermitteln, ob sie im Rahmen der ihnen kraft ihrer Abgeordneteneigenschaft übertragenen Verantwortung bereit wären, die darin enthaltenen Vorstellungen für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (s. S. 30 f.) mitzutragen und entsprechende Gesetzesvorschläge zu erarbeiten. Zudem erwäge ich nach dieser Debatte sehr ernsthaft, beim Deutschen Bundestag eine Online-Petition zu starten, die eine Umsetzung dieser Vorstellungen fordert.

Mangels anderer Informationen gehe ich davon aus, dass der Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung „Aktueller Stand und Entwicklungen der Pränataldiagnostikvom 04.04.2019 Grundlage der Beratungen sein sollte, auf den ich hiermit zusätzlich hinweisen möchte. Am Tag nach der Debatte im Deutschen Bundestag sind mir vom Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V. weitere ergänzende Informationen zur Verfügung gestellt worden. Es handelt sich zum einen um ein Positionspapier von zehn Verbänden der Behindertenhilfe und der Behindertenselbsthilfe, das die eine Kassenzulassung des Präna-Tests befürwortenden Argumente zu entkräften versucht, zum anderen um eine Pressemitteilung des Ministers für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg, in der dieser betont, Menschen mit Behinderung gehörten in die Mitte der Gesellschaft. Darüber hinaus äußert er die Befürchtung, die Zulassung dieses Tests könne zu einem Dammbruch führen: Es bestehe die Gefahr, dass immer mehr Menschen noch extremer auf ihre Behinderung, ihre Erkrankung reduziert werden. Das könne nicht unser Ziel sein.

*) Mit einer E-Mail vom 09.05.2019 bittet der FDP-Abgeordnete Jens Beeck um folgende Klarstellung: Ich bin Sprecher für die Angelegenheiten von Menschen mit Behinderungen für die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, auch wenn wir aus sprachlichen Gründen - dem BTHG und dem modernen bio-psycho-sozialen Modell folgend - teilhabepolitischer Sprecher bevorzugen. Ich bitte daher um die entsprechende Richtigstellung auf Ihrer Homepage, da dort die Information zu finden ist, dass die FDP-Fraktion über keinen zuständigen Sprecher verfügt.


Bluttest auf Trisomien: B-GA leitet Stellungnahme-Verfahren ein

Entgegen meiner Erwartung hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Patientenvertretern (G-BA) auf seiner Sitzung vom 22. März 2019 noch keine Entscheidung über die Finanzierung des Bluttests zur Feststellung von Trisomien im Rahmen der Schwangeren-Vorsorgeuntersuchungen durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – vgl. den Artikel „Test auf Down-Syndrom vor Kassenzulassung?“ weiter unten auf dieser Seite gefällt. Aus einer Pressemitteilung geht hervor, dass nunmehr ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet worden ist, in dem hierzu berechtigte Organisationen zu einer Beschlussvorlage des G-BA Stellung nehmen sollen. Auf der Basis dieser Stellungnahmen soll dann im August 2019 eine endgültige Entscheidung gefällt werden. In Kraft treten soll eine mögliche Zulassung des Tests als Leistung der GKV jedoch erst nach Verabschiedung einer entsprechenden Patienteninformation; diese Beschlussfassung ist für August 2020 vorgesehen. Zudem besteht noch die Möglichkeit, dass der für August 2019 vorgesehene Beschluss durch das Bundesgesundheitsministerum beanstandet wird und somit nicht wirksam werden kann.

Der G-BA betont in seiner Pressemitteilung, es gehe nicht um die Zulassung einer „Reihenuntersuchung für alle Schwangeren“. Vielmehr handle es sich aus der derzeitigen Sicht des G-BA um eine im Einzellfall mögliche Leistung im Rahmen der Schwangerenbetreuung“, deren Zulassung wegen der hohen Risiken der herkömmlichen Tests und der hohen Testgüte der in der in diesem Verfahren geprüften Bluttests als „medizinisch begründet angesehen werde. Zudem weist der G-BA in seiner Pressemeldung auf die Position der Patientenvertreter hin: Nach deren Auffassung sollte der Bluttest zu Lasten der GKV erst nach der 12. Schwangerschaftswoche eingesetzt werden. Außerdem wird gefordert, im Rahmen der ärztlichen Aufklärung vor der Anwendung des Tests auf Beratungsangebote hinzuweisen, die über das Leben mit Trisomien (u.a. Down-Syndrom) informieren. Während des Bewertungsverfahrens ist offenbar die Entscheidungsgrundlage noch einmal verändert worden; als solche dient nunmehr ein Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Diesen möchte interessierten Lesern unmittelbar zur Verfügung stellen. Da die Entscheidung über die Zulassung somit wie oben dargestellt erst in einigen Monaten fallen wird, werde ich ihn mir in der nächsten Zeit in Ruhe anschauen und zu gegebener Zeit an dieser Stelle über meine Erkenntnisse berichten.

Dem Newsletter des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V. vom 22. März 2019 entnehme ich, dass dieses Thema auch im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert wird und dort die Befürworter einer Kassenzulassung des Tests in der Mehrzahl sind. Dort findet sich auch der Hinweis auf eine Übersicht über die gerade deshalb notwendige gesellschaftliche Debatte


PID und PND stellen Lebensrecht behinderter Menschen in Frage

Die Weiterentwicklung der Möglichkeiten von Pränatal- bzw. Präimplantationsdiagnostik (PND bzw. PID) erhöhen die Gefahr vorgeburtlicher Aussonderung behinderter Menschen in einem beängstigenden Ausmaß (vgl. auch den nachfolgenden Artikel). Dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinen Entscheidungen zum Recht des Schwangerschaftsabbruch sowohl 1975 als auch 1993 bereits ungeborenen Kindern ein Recht auf Leben eingeräumt und an einen straffreien Abbruch der Schwangerschaft besondere Anforderungen gestellt hat, hat hieran nichts zu ändern vermocht. Dabei dürfte auch der Umstand eine Rolle spielen, dass von 1974 bis 1995 die drohende Behinderung eines ungeborenen Kindes mit Billigung der Verfassungsrichter eine Straffreiheit des Abbruchs dieser Schwangerschaft bewirken konnte. Obgleich diese „embryopathische Indikation“ nicht mehr Bestandteil des Strafgesetzbuches ist, führt die vorgeburtliche Feststellung einer möglichen Behinderung des Kindes weiterhin in einer Vielzahl von Fällen zum Abbruch der Schwangerschaft, weil eine schwerwiegende Gefährdung der Gesundheit der Mutter (medizinische Indikation) angenommen wird. Neben den sich hieraus ergebenden ethisch-moralischen Fragestellungen stellt sich die Frage, ob diese Situation nicht im Widerspruch zum Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG steht. Daraus ergibt sich die weitergehende Frage, wie eine Lösung dieses Problems aussehen könnte, die im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG steht, aber dennoch einen effektiveren Schutz auch behinderten ungeborenen Lebens zu gewährleisten vermag.

Die möglicherweise bevorstehende Zulassung eines Bluttests auf das Vorliegen von (u.a.) Trisomie 21 (vgl. nochmals den nachfolgenden Artikel) habe ich zum Anlass genommen, mich ausführlich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Das Ergebnis kann ich nunmehr vorstellen. Es gipfelt in der Feststellung, dass es mit juristischen Mitteln kaum möglich sein wird, dem Dilemma beizukommen. Notwendig wird vielmehr eine politische Lösung sein. Das heißt im Klartext: Der Staat (besser: der Gesetzgeber) wird eine unbedingte Entscheidung für den Schutz jeglichen ungeborenen Lebens zu treffen haben. (Hinweis: Das Dokument habe ich am 23.11.2021 redaktionell überarbeitet. Dies geschah vor dem Hintergrund des Inhalts der am 22.11.2021 im Ersten ausgestrahlten Dokumentation „Der Bluttest – welches Kind soll leben?“ [vgl. Artikel „Doku zum ‚Präna-Test‘“ weiter oben auf dieser Seite]. Die vermittelten Informationen legen nahe, dass mit der Zulassung des „Präna“-Tests in der Tat eine weitere Einschränkung des Lebensrechts speziell von Menschen mit Down-Syndrom einhergehen dürfte. Da in der Doku anklang, dass sich weitere Bluttests [auf welche Behinderungen, blieb leider im Dunkeln] in der Entwicklung befinden, dürftee sich diese früher oder später noch auf andere Kinder ausweiten. Die Tatsache, dass wir uns gerade am Anfang einer Legislaturperiode befinden und absehbar ist, dass die neue Regierung nicht mehr unions-geführt sein wird, lässt die Hoffnung zu, dass eine gewisse Offenheit für eine Verbesserung des Lebensschutzes behinderter Menschen gegeben sein könnte. Obwohl die von mir angesprochenen Verbände der Behinderten-Selbsthilfe im Jahr 2019 nicht auf meine Bitte um Unterstützung einer möglichen Petition (s. nachfolgender Absatz) reagiert haben, werde ich aufgrund der aktuellen Entwicklung weitere Materialien erstellen und nunmehr ernsthaft einen neuen Versuch unternehmen, die Bedingungen für einen effektiven Lebensschutz auch für die Kinder zu verbessern, deren [mögliche] Behinderung mittels PND erkannt werden kann. Die Ausarbeitung soll dabei Bestandteil der Begleitmaterialien sein.)

Diese Erkenntnis würde bei konsequenter Behandlung des Problems zu der Entscheidung führen (müssen?), erneut eine Petition beim Deutschen Bundestag einzureichen. Zur Vorbereitung einer solchen Entscheidung habe ich die Ausarbeitung ausgewählten Verbänden der Behinderten-Selbsthilfe übermittelt. Deren Reaktionen möchte ich zuvor analysieren. Falls Sie als Besucher/in dieser Website hierzu eine Meinung entwickeln, bitte ich Sie sehr herzlich, mir über das Kontaktformular eine entsprechende Rückmeldung zukommen zu lassen.


Test auf Down-Syndrom vor Kassenzulassung?

Seit dem Jahr 2012 wird ein Bluttest auf dem deutschen (Medizin-)Markt angeboten, mit dessen Hilfe angeblich problemlos und sicher festgestellt werden kann, ob bei einem Fötus ein Down-Syndrom vorliegt. Dieser Test war bereits zuvor heftig umstritten; der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der behinderten Menschen hatte seinerzeit sogar seine rechtliche Zulässigkeit in Frage gestellt. Hintergrund dieser Diskussion ist vor allem, dass sich die übergroße Mehrzahl der Mütter bzw. Eltern für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheidet, wenn bei ihrem ungeborenem Kind ein Verdacht auf diese Erbgutschädigung festgestellt wird. Bislang müssen sie sich dabei auf eine Gefährdung der Gesundheit der Mutter berufen, da mit den derzeit zur  Verfügung stehenden Methoden vorgeburtlicher (pränataler) Diagnostik eine entsprechende Feststellung erst nach der 12. Schwangerschaftswoche getroffen werden kann (nur innerhalb dieses Zeitraums ist ein Schwangerschaftsabbruch ohne weitere Begründung nach einer Beratung der schwangeren Frau möglich). Der neue Bluttest soll nun eine entsprechende Diagnose bis zur 12. Schwangerschaftswoche ermöglichen, so dass ein rechtlich unbedenklicher Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden könnte (mehr zu dieser Problematik können Sie den in dem Artikel zu meiner erfolglosen Petition zum Schutz behinderten ungeborenen Lebens [am Ende dieser Seite] erwähnten Dokumenten entnehmen). Das Ärzteblatt hat im Jahr 2015 einen Artikel über diesen Bluttest veröffentlicht, der sich mit dessen Genauigkeit auseinandersetzt. Ihm ist zu entnehmen, dass zwar einerseits das Vorliegen einer Trisomie 21 praktisch immer erkannt werden kann; andererseits würden von 598.000 Föten, bei denen keine Trisomie 21 vorliegt, immerhin 600 fälschlicherweise positiv getestet. Mit anderen Worten: Geht man davon aus, dass sich Eltern in 90 % der Fälle, in denen ihnen eine entsprechende Diagnose mitgeteilt wird, für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, so würde dies bedeuten, dass immerhin 540 Kinder nicht das Licht der Welt erblicken, die jedenfalls insoweit völlig gesund wären.

Wieder einmal stellt sich hier die Frage nach dem Schutz ungeborenen behinderten Lebens. Zwar gilt es zu berücksichtigen, dass die Geburt eines behinderten Kindes einen gewaltigen Einschnitt in  die Lebensplanung der betroffenen Eltern bedeutet; andererseits stellt sich die Frage, ob nicht gerade angesichts der UN-BRK auch ungeborenes Leben mit Behinderung bereits einen ebensolchen Schutz genießen muss wie geborenes Leben mit Behinderung. Auf diese Problematik richtete sich die im letzten Artikel auf dieser Seite erwähnte gescheiterte Petition. Mit der Einführung des neuen Tests würde sie jedoch noch einmal eine neue Dimension erreichen, weil der auf seiner Grundlage erfolgende Schwangerschaftsabbruch nicht mehr begründungspflichtig wäre, da er innerhalb der Frist für einen „normalen Schwangerschaftsabbruch erfolgen könnte. Die unterschiedlichen Standpunkte in der Diskussion hierzu werden auch aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage einer Reihe von Abgeordneten aus dem Jahr 2015 zu dieser Problematik deutlich; für den juristisch nicht vorgebildeten Leser dürften besonders die auf den Seiten 2 und 3 wiedergegebenen Vorbemerkungen der Fragesteller (also der Abgeordneten, die die Anfrage eingebracht haben) und der Bundesregierung interessant sein. Bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass es die Bundesregierung weitestgehend vermeidet, einen Standpunkt zu den aufgeworfenen ethischen Fragestellungen zu beziehen.

Am 18. August 2016 wurde beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein Antrag auf Zulassung dieses Tests zur Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen als Leistung im Rahmen der Betreuung von Frauen mit Risiko-Schwangerschaften gestellt. Wesentliche Aussagen, die das auf dieser Seite behandelte Thema des Lebensschutzes ungeborener, möglicherweise von einer Behinderung betroffenen Menschen betreffen, habe ich aus diesem Dokument herausgegriffen und unter Voranstellung einer Darstellung der Problematik kommentiert. Meinen Informationen zufolge soll im Frühjahr 2019 abschließend über diesen Antrag entschieden werden. Im Zuge meiner Recherchen bin ich zudem auf eine Petition gestoßen, die den G-BA auffordert, den Test nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen. Diese Petition wurde offenbar am 2. August 2018 ins Leben gerufen und hat (Stand: 6. Dezember 2018) 7.280 Unterstützer gefunden. Leider lässt sich dem Webauftritt nicht entnehmen, bis wann sie mitgezeichnet werden kann. Zwar habe ich einen Hinweis darauf erhalten, dass die die Petition präsentierende Site einen rechtsnationalen Hintergrund haben könnte, was dieser Information zufolge auch die geringe Zahl der Mitzeichnungen erklären könnte. Andererseits denke ich, dass das Anliegen so wichtig ist, dass alle Einflussmöglichkeiten genutzt werden sollten; es ist ja nicht notwendig, weitere mit diesem Webauftritt möglicherweise verfolgte Ziele zu unterstützen.

Allein die Erteilung eines solchen Auftrags an den G-BA muss befremden: Schon im Jahr 2012 hatte der seinerzeitige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe, in seiner bereits erwähnten Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass bereits gegen die Anerkennung der Verkehrsfähigkeit des Produktes (also die Möglichkeit, es auf dem Markt zu verkaufen) rechtliche Bedenken bestünden (s. den Link im ersten Absatz dieses Artikels). Selbst die Bundesregierung erklärt in ihrer Vorbemerkung zu ihrer im zweiten Absatz dieses Artikels erwähnten Antwort auf eine Kleine Anfrage, der G-BA habe durch eine (dort näher bezeichnete) Gesetzesänderung ein Instrument zur Bewertung des Nutzens neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erhalten, „die das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten, deren Nutzen jedoch noch nicht hinreichend belegt ist.“ (vgl. S. 3 des Dokuments; Hervorhebung von mir). Zwar macht die Bundesregierung deutlich, dass eine Trisomie 21 gravierende (auch körperliche) Schäden beim Ungeborenen verursachen kann, deren frühzeitige Erkennung zu medizinisch-therapeutischen Gegenmaßnahmen genutzt werden könne (vgl. Antwort zu Frage 4 auf S. 5 des Dokuments). Tatsache bleibt aber, dass die (vermeintliche; s.o.) Diagnose „Trisomie 21 (bzw. „Down-Syndrom) in der übergroßen Mehrzahl der Fälle zum Schwangerschaftsabbruch, also zur Tötung der Leibesfrucht führt (vgl. vorletzter Absatz). Dies aber als eine Behandlungsalternative“ darzustellen, muss mindestens als zynisch angesehen werden. Leider liegen mir keine Erkenntnisse vor, ob dies juristisch dargestellt werden kann. Sollte dies jedoch möglich sein, so müsste die Frage erlaubt sein, weshalb eine Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland noch immer weitestgehend verboten ist. Schließlich handelt es sich hier um einen durchaus vergleichbaren Sachverhalt.

Im Oktober 2018 hat sich das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, in einer von vielen gescholtenen Art und Weise zum Thema „Schwangerschaftsabbruch bei vermuteter Behinderung“ geäußert. Kritisiert wurde vor allem, dass er den Abbruch der Schwangerschaft mit der Beauftragung eines Auftragsmörders verglichen habe. Fast völlig untergegangen ist seinerzeit in der gerade von FrauenrechtlerInnen sehr emotional geführten Diskussion, dass er bei diesem Vergleich gewissermaßen einen „Spezialfall“ in den Blick genommen hatte: „Wenn Eltern die Diagnose einer schweren Behinderung ihres ungeborenen Kindes bekämen, bräuchten sie ‚wahre Nähe‘ und Solidarität, um ihre Ängste zu überwinden. ‚Stattdessen bekommen sie hastige Ratschläge, die Schwangerschaft zu abzubrechen‘, sagte das Katholiken-Oberhaupt.“, kann man in der FAZ online vom 10. Oktober 2018 nachlesen. Obwohl ich mit der katholischen Kirche und den von ihr aufgestellten Regeln so gut wie nichts gemein habe denke ich, dass Franziskus in diesem speziellen Fall durchaus beizupflichten ist.

Weitere Informationen zum Thema Pränataldiagnostik und der damit verbundenen Problematik finden Sie auf den Seiten des Netzwerks Pränataldiagnostik sowie in einer Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (bzga), die allerdings als gedrucktes Exemplar vergriffen ist und nicht mehr neu aufgelegt werden soll. Die bzga weist in Ihrem Webauftritt darauf hin, dass Teile derselben inhaltlich überholt sein könnten.


Inklusionsbeirat spricht sich gegen PID aus

Nachdem der Deutsche Bundestag im Jahr 2011 ein Gesetz zur Regelung der so genannten Präimplatantationsdiagnostik (PID) verabschiedet hatte, hat der Bundesrat am 1. Februar 2013 einer Verordnung der Bundesregierung zur Ausführung dieses Gesetzes zugestimmt. Diese ist am 25.02.2013 im Bundesgesetzblatt Teil I S. 323 veröffentlicht worden und am 1. Februar 2014 in Kraft getreten. Nach der Verabschiedung der Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik hatte der Inklusionsbeirat beim Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen eine Stellungnahme zu dieser Problematik abgegeben. Darin spricht er sich dafür aus, die PID nur in den Fällen zu erlauben, in denen noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt des Kindes medizinische Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der Behinderung eingeleitet werden können. (Leider musste ich im Zuge des Relaunches dieser Website feststellen, dass diese Stellungnahme auf den Seiten des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung nicht mehr abgerufen werden kann.)

Dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages war seinerzeit eine intensive Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern der Freigabe von PID vorausgegangen, da diese zwangsläufig mit der Vernichtung der Embryonen verbunden ist, die Träger der fraglichen Erbkrankheit sind. Dies bedeutet nach Ansicht vieler Kritiker die Vernichtung behinderten Lebens (so auch nachzulesen in einer Pressemeldung des seinerzeitigen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der behinderten Menschen, Hubert Hüppe). Zudem besteht bei einer unkontrollierten  Freigabe der PID die Gefahr der Zeugung so genannter „Wunschbabys, die unter anderem dazu dienen können, die Krankheit eines vor ihnen geborenen Geschwisterkindes zu „reparieren. Aus diesen Gründen hat der deutsche Gesetzgeber entschieden, dass eine PID grundsätzlich rechtswidrig bleiben soll.


EGMR verneint eigenständiges Lebensrecht Ungeborener

Zu der Zeit, als die Weiterleitung der von mir beim Deutschen Bundestag eingereichten Petition für einen verbesserten Schutz behinderten ungeborenen Lebens an das Plenum durch den Petitionsausschuss abgelehnt worden war (vgl. den nachfolgenden Artikel) erfuhr ich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Entscheidung zu der Frage gefällt haben sollte, ob Ungeborenen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein eigenständiges Lebensrecht zugebilligt werden könne. Seinerzeit (Juni 2012) waren trotz meiner Recherchen im World Wide Web hierzu keinen näheren Informationen in deutscher Sprache verfügbar. Auch entsprechende Anfragen bei Verbänden der Behinderten-Selbsthilfe zeitigten keine positiven Ergebnisse. Im Zuge der Neugestaltung dieser Seiten und der damit verbundenen auch inhaltlichen Überarbeitung begab ich mich erneut auf die Suche nach Informationen zu dieser Entscheidung. Zwar ist der Entscheidungstext selbst nach wie vor offenbar nur in den Sprachen Englisch und Französisch verfügbar; jedoch scheint man sich in Österreich näher mit dieser EGMR-Entscheidung auseinandergesetzt zu haben. Aus diesen Dokumenten ist nun zu entnehmen, dass diese für die Problematik eines verbesserten Lebensschutzes von möglicherweise von einer Behinderung bedrohten Ungeborenen nicht einschlägig ist. In dem entschiedenen Fall ging es vielmehr um die Frage, ob ein Arzt, der durch Fahrlässigkeit den Tod eines Ungeborenen verursacht, von dem jeweiligen Staat (hier: Frankreich) mit den Mitteln des Strafrechts zur Rechenschaft gezogen werden muss. Dies hat der EGMR verneint; es reiche aus, wenn das Rechtssystem vorsehe, den Arzt zu einer Schadenersatzleistung heranzuziehen. Kritisiert wird an dieser Entscheidung allerdings, dass es der EGMR entgegen seiner sonstigen Rechtsprechung vermieden habe, durch eine eindeutige Positionierung in dieser Frage Signale für eine Rechtsentwicklung in den Unterzeichnerstaaten der EMRK auszusenden.


Petition zum Schutz behinderten ungeborenen Lebens erfolglos

Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) am 6. Juli 2010 einen Arzt freigesprochen hatte, der eine Präimplantationsdiagnostik mit dem Ziel durchführte, das Einpflanzen von Embryonen in den Mutterleib zu vermeiden, deren Erbgut geschädigt war (s. auch die Meldung in der Rubrik Aktuelles aus dem Rechtsbereich), hatte ich am 16.08.2010 nach umfangreichen Vorarbeiten eine öffentliche Petition beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eingereicht, mit der ich einen verbesserten Schutz behinderten ungeborenen Lebens zu erreichen versuchte. Alle Details finden Sie hier (einschließlich der Diskussion). Als weitere Hintergrundinformationen stelle ich Ihnen eine Ausarbeitung über die Gefährdung behinderten ungeborenen Lebens sowie eine Darstellung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch sowohl von 1975 als auch von 1993 mit einer Auswahl der jeweiligen Entscheidungsgründe zur Verfügung.

Der Deutsche Bundestag hat am 15.12.2011 auf  Empfehlung des Petitionsausschusses beschlossen, das Petitionsverfahren abzuschließen, da kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe und dem  Anliegen der Petition teilweise bereits entsprochen worden sei. Letzteres bezieht sich auf die in der Petition auch geforderte Verbesserung des Systems der Hilfen für behinderte Menschen, die durch die Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingeleitet worden sei. Die Begründung des Petitionsausschusses vermag mich nicht wirklich zu überzeugen. Einzelheiten hierzu habe ich schriftlich zusammengefasst. Anders als im Jahr 2012 von mir für möglich gehalten spielt die mir damals nicht vorliegende Entscheidung des EGMR (s. letzter Absatz des vorangehenden Artikels) für diese Beurteilung keine Rolle, weil sie einen anderen Sachverhalt behandelt


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