Selbstbestimmt sterben - aber wie?
Die Fragen sind gestellt
In der Bewertung der Vorgänge vom 6. Juli 2023 (s. die nachfolgende Meldung; Meine Meinung:) hatte ich Fragen an diejenigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages formuliert, die beiden der dort kurz skizzierten Gesetzentwürfe zur (Neu-)Regelung des Rechts auf einen selbstbestimmten assistierten Suizid ihre Zustimmung verweigert hatten. In der Folge hatte ich jeweils die mit „Nein“ stimmenden bzw. Stimmenthaltung übenden Abgeordneten aufgelistet, um so herausfinden zu können, welche von ihnen beide Entwürfe abgelehnt hatten – sei es durch zwei Mal „Nein“, einmal „Nein“ und Stimmenthaltung zum anderen Entwurf oder „doppelte“ Stimmenthaltung. (Für hieran interessierte hier die nicht zustimmenden Stimmabgaben für den die Beratungslösung favorisierenden Entwurf, den die strafrechtliche Lösung fordernden Entwurf und die Liste derer, die beide Entwürfe ablehnten.)
Am 29./30. Juli 2023 war ich schließlich in der Lage, den in der letztgenannten Liste aufgeführten Mitgliedern des Deutschen Bundestages eine E-Mail mit dem nachfolgend wiedergegebenen Text zukommen zu lassen:
„Sehr geehrtes Mitglied des Deutschen Bundestages,
Sie erhalten diese E-Mail von einem politisch engagierten Mitbürger, der in seinem Berufsleben in der Arbeit für Menschen mit Behinderung tätig war und sich danach weiter für die Rechte dieser Menschen und die Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Situation in Deutschland eingesetzt hat. Ausfluss dieser Bemühungen ist die von mir seit ca. 18 Jahren betriebene Website ‚Politik für Menschen mit Handicap‘. Dieser Auftritt, der ursprünglich der Verbreitung meines ‚Konzept einer neuen Politik zu Gunsten von Menschen mit Handicap‘ diente, hat sich seither in viele Richtungen weiterentwickelt und dabei auch so grundlegender Aspekte wie des Schutzes behinderten ungeborenen Lebens und der Sterbehilfe angenommen. Dass sich der Einsatz für zwei auf den ersten Blick so völlig unterschiedliche Ziele sehr wohl miteinander vereinbaren lässt, können Sie auf der Seite ‚Warum ich mich für Sterbehilfe einsetze‘ nachlesen.
Diese E-Mail stellt eine – aus arbeitstechnischen Gründen verspätete (ich betreibe diese Website als Einzelperson und habe demzufolge auch die für dieses Projekt notwendigen Vorarbeiten als solche leisten müssen) – Reaktion auf Ihr Abstimmungsverhalten in den ersten beiden Abstimmungen zum Tagesordnungspunkt 5 in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Juli 2023 dar. Zur Abstimmung standen nacheinander zwei Gesetzentwürfe, die zum Ziel hatten, das mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020, mit dem das 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossene Verbot der Arbeit von Sterbehilfevereinen für unvereinbar mit dem Grundgesetz und somit nichtig erklärct worden war, entstandene ‚Regelungsvakuum‘ hinsichtlich der Arbeit dieser Vereine zu beseitigen. Im letzten Redebeitrag der diesen Abstimmungen vorausgehenden Debatte hatte Ihr Kollege Benjamin Strasser an Sie alle eindringlich appelliert: ‚Wir diskutieren nach drei Jahren darüber, ob wir einen unregulierten Zustand wollen oder ob wir Regeln für einen assistierten Suizid und Rechtssicherheit für Betroffene schaffen. Deswegen kann es nicht angehen, dass man heute, nach drei Jahren der Debatte, einfach Nein zu allen Vorschlägen sagt, ohne einen eigenen Vorschlag vorzulegen.‘
Genau dies haben Sie – ausweislich des offiziellen Protokolls dieser Sitzung – jedoch getan. Sie haben beide an diesem Tag zur Abstimmung gestellten Gesetzentwürfe abgelehnt.*) Mit diesem Abstimmungsverhalten haben Sie zumindest billigend in Kauf genommen, dass Menschen mit dem im Grundsatz vom Bundesverfassungsgericht als Grundrecht anerkannten Wunsch, (auch mit Hilfe Dritter) selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, auch fast dreieinhalb Jahre nach seiner Legitimierung eine rechtssichere Umsetzung dieses ihres Wunsches verwehrt bleibt. Dies bedarf nach meiner Einschätzung einer Aufarbeitung:
Sie sind bei diesen Abstimmungen ersichtlich Ihrem Gewissen gefolgt. Dies ist in Ihrer Eigenschaft als Abgeordnete/r des Deutschen Bundestages wegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur Ihr Recht, sondern könnte sogar als eine Ihnen durch diese Regelung auferlegte Verpflichtung angesehen werden. Insofern habe ich diese von Ihnen so getroffenen Entscheidungen zunächst einmal zu akzeptieren. Sie müssen sich jedoch die Frage gefallen lassen (die ich mir mit dieser E-Mail Ihnen zu stellen erlaube), ob Sie die mit diesem Ihrem Abstimmungsverhalten verbundenen Folgen auch mit Ihrem Gewissen vereinbaren können. Wie meine ich das? Auf meiner Webseite ‚Selbstbestimmt sterben – aber wie?‘ habe ich es in einer ersten, für meine Leserinnen und Leser bestimmten Meldung über die Geschehnisse des 6. Juli 2023 im Deutschen Bundestag (‚Der Deutsche Bundestag blamiert sich!‘) in einer ersten Bewertung so formuliert: ‚Die Gewissensentscheidung, mit der die Abgeordneten entschieden, den ihnen jeweils zur Abstimmung vorgelegten Entwurf abzulehnen, betraf ja nicht etwa ihr eigenes Leben oder das eines oder mehrerer ihnen nahestehender Menschen; sie betraf vielmehr eine ihnen völlig unbekannte Anzahl ihnen (zumindest größtenteils) völlig unbekannter Menschen mit (wiederum zumindest größtenteils) ihnen völlig unbekannten Schicksalen. Folglich müssen sich die Abgeordneten, die auf diese Weise ihrem Gewissen gefolgt sind, die Frage gefallen lassen, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, diesen ihnen wohl allenfalls zu einem kleinen Teil bekannten, größtenteils aber wohl völlig unbekannten Menschen mit dieser Gewissensentscheidung ihre Auffassung von Recht und Moral aufzuzwingen; denn: nichts anderes haben sie im Ergebnis getan!‘
Mir ist bewusst, dass hinter dieser Ihrer Gewissensentscheidung bei diesen Abstimmungen in vielen, möglicherweise sogar sehr vielen, Fällen religiöse und/oder moralische Überzeugungen standen (bzw. immer noch stehen). In diesem speziellen Fall erlaube ich mir, dies zu problematisieren: In seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 26.02.2020 hat das Bundesverfassungsgericht im Begründungsteil u.a. ausgeführt: ‚Eine Einengung des Schutzbereichs [der autonomen Entscheidung zur Selbsttötung; Anm. d. Verf.] auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist. … Maßgeblich ist der Wille des Grundrechtsträgers, der sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit entzieht…‘ (die genaue Fundstelle entnehmen Sie bitte dem dieser E-Mail angehängten, von mir verfassten Artikel ‚Die Würde des Menschen ist antastbar!‘, dort S. 3). Was dies nach meiner Auffassung für die Bewertung Ihres Abstimmungsverhaltens bei den hier in Rede stehenden Abstimmungen bedeutet habe ich in dem genannten Artikel etwas ausführlicher darzustellen versucht.
Mir ist auch bewusst, dass einem (möglicherweise sogar großen) Teil von Ihnen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage nicht gefällt (oder sogar ausgesprochen missfällt). Eines der mit dieser E-Mail angesprochenen Mitglieder des Deutschen Bundestages hat in diesem Zusammenhang einmal vor dem Plenum geäußert, der Bundestag sei ‚nicht die Schreibstube des Bundesverfassungsgerichts‘.**). Dennoch ist es ein Fakt, dass eben dieses Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten zählt. Es hat allerdings gleichzeitig dargelegt, dass dieses Grundrecht Gefährdungen ausgesetzt und es Aufgabe des Gesetzgebers sei, durch eine Minimierung dieser Gefährdungen diesem Grundrecht (eine noch bessere) Geltung zu verschaffen. Sie haben es am 6. Juli 2023 versäumt, dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden. Möglicherweise haben Sie auf diese Weise sogar gegen Verpflichtungen verstoßen, die Sie mit Ihrer Wahl zu einem Mitglied des Deutschen Bundestages übernommen haben: durch diese sind Sie zu einer/einem der Repräsentantinnen/Repräsentanten dieses Staates geworden, dessen nach unserem Grundgesetz eine der vornehmsten Verpflichtungen es ist, die Würde des Menschen nicht anzutasten (Näheres hierzu entnehmen Sie bitte dem anhängenden Artikel).
Um es abschließend deutlich zu machen: Ich habe als Bürger dieses Landes, der dessen Grundgesetz für eine der besten Verfassungen der Welt hält, nicht das Recht, Ihr hier in Rede stehendes Abstimmungsverhalten zu kritisieren. Als Bürger dieses Landes denke ich aber das Recht zu haben; es zu hinterfragen sowie die Pflicht, Sie auf mögliche Folgen desselben hinzuweisen.
Für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit danke ich Ihnen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen“
In Vorbereitung dieser Aktion hatte ich speziell aus der Sichtweise eines Menschen mit Behinderung einige Gedanken zum Thema „Menschenwürde“ und die im deutschen Grundgesetz enthaltene Garantie derselben gemacht; den so entstandenen Text „Die Würde des Menschen ist antastbar!“ habe ich auch den Adressaten dieser E-Mail(s) übermittelt.
*) Die Abgeordneten, die nicht beide Entwürfe durch ein „Nein“ ablehnten, haben eine E-Mail mit einem leicht abgeänderten Text erhalten. In dieser lautet dieser Satz: „Sie haben beiden an diesem Tag zur Abstimmung gestellten Gesetzentwürfen Ihre Zustimmung verweigert – durch Ablehnung bzw. Stimmenthaltung.“
**) Dieser Satz ist nur in der an die „Komplettablehner“ gerichteten E-Mail enthalten; er bezieht sich auf den Redebeitrag des CDU-Abgeordneten Phlipp Amthor in der „Orientierungsdebatte“ vom 24. Juni 2022 (s. hierzu den Artikel „Ein neuer Anlauf“ weiter unten auf dieser Seite).
Der Deutsche Bundestag blamiert sich!
Fast dreieinhalb Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Recht auf Suizid ohne Ansehen der Beweggründe und zugleich auf die Inanspruchnahme von Hilfe zur Selbsttötung formuliert – und damit gleichzeitig das 2015 vom Deutschen Bundestag beschlossene faktische Verbot von Sterbehilfevereinen für unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit zugleich für nichtig erklärt hat (mit der Folge, dass diese Regelungen mit sofortiger Wirkung nicht mehr angewendet werden konnten). Folglich war ein rechtsfreier Raum entstanden: Sterbehilfevereine konnten ab sofort wieder tätig werden; gesetzliche Regelungen zur Umsetzung der vom BVerfG formulierten Schutzmaßnahmen für suizidwillige Menschen (Ausschluss der Beeinflussung dieses Wunsches durch Dritte, Ausschluss psychischer Erkrankungen oder Störungen als Ursache für den Suizidwunsch) gab es (vorerst) nicht. Nachdem bereits in der 19. Legislaturperiode der Versuch gescheitert war, noch vor deren Ende eine Regelung zur Umsetzung dieses BVerfG-Urteils zu finden (vgl. Artikel „Das Parlament berät – oder doch nicht?“ weiter unten auf dieser Seite), gab es in der aktuellen Legislaturperiode zunächst einmal eine so genannte „Orientierungsdebatte“ (vgl. Artikel „Ein neuer Anlauf“, ebenfalls weiter unten auf dieser Seite). Am 6. Juli 2023 kam dann der Tag, auf den viele betroffene Menschen gewartet hatten: der Deutsche Bundestag debattierte über zwei jeweils von fraktiomsübergreifenden Gruppen eingebrachte Gesetzentwürfe, die unterschiedliche Vorstellungen zur Regelung der Umsetzung der BVerfG-Entscheidung zum Inhalt hatten, und stimmte anschließend in getrennten Abstimmungen (d.h., über jeden der beiden Entwürfe wurde einzeln abgestimmt) hierüber ab.
Wesentlicher Unterschied der beiden Gesetzentwürfe ist, dass der erste Sterbehilfe grundsätzlich mit Strafe bewehrt sehen möchte, hiervon aber Ausnahmen zuzulassen bereit ist. Erster Schritt zur Prüfung, ob eine solche Ausnahme gegeben ist, ist nach den Vorstellungen der Autor*innen dieses Entwurfs die Begutachtung des sich mit einem Suizidwunsch tragenden Menschen durch eine/n Facharzt/Fachärztin für Psychiatrie. Hintergrund dieses Vorschlags ist die bereits erwähnte Forderung des BVerfG nach einer Überprüfung, ob der geäußerte Suizidwunsch aus freiem Willen der ihn äußernden Person, also unbeeinflusst auch durch eine psychische Störung bzw. Erkrankung zustande gekommen ist.
Dies wollen auch die Autor*innen zweier anderer Gesetzentwürfe überprüft sehen. Da diese eine ähnliche Zielrichtung verfolgten erklärten sich die jeweiligen Initiatoren zu deren Zusammenlegung bereit. In diesem zusammengelegten Entwurf wind ein anderer Weg vorgeschlagen: es soll ein leicht zu erreichendes („niedrigschwelliges“) Beratungsangebot geschaffen werden. In den Beratungsstellen sollen der Person mit einem Suizidwunsch in einem „ergebnisoffenen“ Gespräch Hilfen angeboten und Alternativen zur Selbsttötung aufgezeigt werden; letztlich soll ebenso wie in dem anderen Gesetzentwurf vorgesehen auch überprüft werden, ob der Suizidwunsch aus dem freien Willen der ihn äußernden Person entstanden und auch dauerhaft ist. Wenn sich im Zuge des Beratungsverfahrens Hinweise auf eine psychische Störung bzw. Erkrankung ergeben sollten, ist auch nach diesem Gesetzentwurf die Hinzuziehung eines Facharztes/einer Fachärztin für Psychiatrie vorgesehen. Beiden Entwürfen ist gemeinsam, dass bei Zweifeln an dem aus freiem Willen der betreffenden Person zustande gekommenen Wunsch nach Selbsttötung oder dem Vorliegen einer psychischen Störung/Erkrankung das tödlich wirkende Medikament nicht verschrieben werden darf. Zu beiden Gesetzentwürfen hatte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Beschlussempfehlungen erarbeitet und diese in einer Drucksache zusammengefasst.
Aus der Debatte (alle Redebeiträge können als Videos auf der Homepage des Deutschen Bundestages abgerufen oder im Plenarprotokoll [dort ab S. 10 des PDF-Dokuments] nachgelesen werden) möchte ich nur zwei Beiträge herausgreifen. Renate Künast von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die den zweiten Entwurf unterstützte, erklärte zu Beginn ihres Beitrags: „Es braucht eine Neuregelung. Warum? Weil Sterbehilfe stattfindet. Sie findet statt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber wir haben keinen zumutbaren und gangbaren Weg geregelt, ... einen Weg, der tatsächlich nicht so hohe Hürden mit sich bringt, als dass er nicht genommen wird.“ Und auf die Gründe dafür eingehend, weshalb der von ihr vertretene Entwurf eine Verankerung der Regelungen im Strafrecht ablehnt, führt sie aus: „Wenn es ein Grundrecht ist, selber über das Ende des Lebens zu entscheiden und sich dabei einer Hilfe zu bedienen, können wir nicht in das Strafgesetzbuch eine Regelung aufnehmen, die besagt: Die Hilfe zu einem selbstbestimmten, freiverantwortlichen Suizid ist grundsätzlich strafbar... Deshalb heißt es ‚Hilfe‘und nicht ‚Beihilfe‘, denn Beihilfe ist strafbar. Das ist etwas anderes.“ – Und im letzten Beitrag der Debatte ruft der den ersten Entwurf befürwortende FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser alle Abgeordneten des Bundestages auf: „Wir diskutieren nach drei Jahren darüber, ob wir einen unregulierten Zustand wollen oder ob wir Regeln für einen assistierten Suizid und Rechtssicherheit für Betroffene schaffen. Deswegen kann es nicht angehen, dass man heute, nach drei Jahren der Debatte, einfach Nein zu allen Vorschlägen sagt, ohne einen eigenen Vorschlag vorzulegen.“ Inhaltlich nimmt er noch einmal zu der Frage Stellung, weshalb in dem von ihm vertretenen Entwurf eine Regelung im Strafrecht vorgesehen ist: „Ja. das Bundesverfassungsgericht hat ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben für alle Menschen definiert, aber es hat auch eine Schutzpflicht des Staates für diese Selbstbestimmung vorgeschrieben. ... Das Bundesverfassungsgericht sieht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eben nicht nur für schwerstkranke Menschen am Ende des Lebens vor, sondern auch für gesunde Menschen, aber auch für Menschen mit Behinderungen, Menschen, die armutsbetroffen sind, Menschen, die Suchterkrankungen haben, Menschen, die psychische Erkrankungen haben, kurzum Menschen, die in ihrem Alltag auf die Unterstützung und Hilfe von anderen angewiesen sind. Was ist eigentlich mit deren Selbstbestimmung? ... Deswegen ist ein Schutz- und Beratungskonzept so entscheidend, ... das eben nicht nur auf dem Papier im Bundesgesetzblatt steht, sondern das in der Realität mit Leben erfüllt wird...“
Diese beiden Redebeiträge habe ich herausgegriffen, weil in ihnen nicht zuletzt die Dringlichkeit betont wird, in den auf die Debatte folgenden Abstimmungen über die beiden Entwürfe zu einem Ergebnis zu kommen, das eben mehr beinhaltet als wieder einmal kein Ergebnis – und weil sie sehr prägnant die Gründe für die unterschiedlichen Ansätze darstellen, die die beiden Entwürfe verfolgen. Umso ernüchternder waren die anschließenden Abstimmungsergebnisse: der erste, eine Verankerung im Strafrecht vorsehende Entwurf erhielt 303 Ja-Stimmen bei 363 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen, der zweite, liberalere erhielt im Anschluss 286 Ja- bei 375 Nein-Stimmen; 20 Abgeordnete übten Stimmenthaltung. Somit waren beide Entwürfe abgelehnt worden, der Appell des Abgeordneten Strasser war ungehört verhallt.
Meine Meinung : Was sich da im Deutschen Bundestag abgespielt hat, stellt für mich eine ungeheure Blamage unserer Volksvertretung (besser formuliert: für deren Mitglieder) dar. Versuchen wir aufzubröseln: Diese Abstimmung war freigegeben, d.h., es gab keinen so genannten Fraktionszwang, die Abgeordneten waren bei diesen Abstimmungen (wie es eigentlich laut Grundgesetz immer sein sollte, aber das ist eine völlig andere Baustelle) nur ihrem Gewissen unterworfen. Und: Es ging im buchstäblichen Sinne um Fragen von Leben und Tod (einer der Abgeordneten sagte in seiner Rede noch, in Deutschland werde viel zu wenig über den Tod gesprochen) – also um Fragen, die verständlicherweise bei vielen Menschen Unbehagen auslösen. Das muss vorausgeschickt werden.
Selbstverständlich muss man eine Gewissensentscheidung als solche akzeptieren. Das gebieten die moralischen Regeln, und in diesem speziellen Fall der Abgeordneten des Deutschen Bundestages sogar unser Grundgesetz. Aber: Die Gewissensentscheidung, mit der die Abgeordneten entschieden, den ihnen jeweils zur Abstimmung vorgelegten Entwurf abzulehnen, betraf ja nicht etwa ihr eigenes Leben oder das eines oder mehrerer ihnen nahestehender Menschen; sie betraf vielmehr eine ihnen völlig unbekannte Anzahl ihnen (zumindest größtenteils) völlig unbekannter Menschen mit (wiederum zumindest größtenteils) ihnen völlig unbekannten Schicksalen. Folglich müssen sich die Abgeordneten, die auf diese Weise ihrem Gewissen gefolgt sind, die Frage gefallen lassen, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, diesen ihnen wohl allenfalls zu einem kleinen Teil bekannten, größtenteils aber wohl völlig unbekannten Menschen mit dieser Gewissensentscheidung ihre Auffassung von Recht und Moral aufzuzwingen; denn: nichts anderes haben sie im Ergebnis getan!
Wahrscheinlich haben sich diese gewählten Vertreter unseres Volkes in ihrer Mehrzahl dies so nicht bewusst gemacht (was ich ihnen an dieser Stelle erst einmal zugute halten möchte). Aber ich denke es ist richtig und angemessen, ihnen genau diese Frage zu stellen. Als gewählte Volksvertreter haben sie nicht nur die Interessen des gesamten Volkes, sondern sehr wohl auch die von Minderheiten zu vertreten und im Blick zu behalten. Und in diesem konkreten Fall scheinen sie zudem noch einen wichtigen Aspekt übersehen zu haben: In seinem Urteil vom 26. Februar 2020, das der Deutsche Bundestag an diesem Tage umzusetzen beauftragt war, hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur das Recht auf einen selbstbestimmten Tod und die Inanspruchnahme von Hilfe hierzu ebenso formuliert wie die Aufgabe des Staates, dafür Sorge zu tragen, dass der Wunsch zu sterben weder von anderen Menschen noch von psychischen Störungen/Erkrankungen beeinflusst worden ist; es hat auch festgehalten, dass die Beurteilung der Angemessenheit dieses Sterbewunsches nicht von religiösen oder moralischen Anschauungen geleitet werden dürfe. Ich fürchte, diesen Aspekt haben die Abgeordneten, die die beiden ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe abgelehnt haben, entweder völlig übersehen – oder ihm einfach keine Beachtung geschenkt.
Zur Wahrheit gehört auch: Nicht alle sich mit einem Sterbewunsch tragenden Menschen sind mit dieser Nicht-Entscheidung des Deutschen Bundestages unzufrieden. Der in der ARD porträtierte Harald Mayer (s. den nachfolgenden Artikel) beispielsweise hat sich in den „tagesthemen“ vom 6. Juli 2023 sehr zufrieden mit ihr gezeigt: Ihm bleibe es so erspart, vor der Umsetzung seines Sterbewunsches noch einmal ein Beratungsverfahren durchlaufen zu müssen. Eine Beratung brauche er nicht mehr; schließlich habe er sich mit seinem Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod zwanzig Jahre lang auseinandergesetzt (dem Bericht zufolge kämpft er derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht um die Herausgabe des tödlichen Medikaments, das zwar bereits seit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 an schwerstkranke Menschen herausgegeben werden sollte, jedoch wegen politischer Entscheidungen bisher noch in keinem Fall herausgegeben wurde; vgl. hierzu den Artikel „Ausnahmegenehmigung für tödliches Medikament“ auf der Seite mit der Rechtsprechung zu diesem Komplex und den Redebeitrag der Abgeordneten Helling-Plahr, mit dem die hier besprochene Debatte des Deutschen Bundestages eingeleitet worden war). Doch der größte Teil der betroffenen oder an der Thematik interessierten Menschen dürfte einfach nur maßlos enttäuscht sein...
Dokumentationen zum Thema
Am Montag, dem 21. November 2022, strahlt Das Erste um 22.20 Uhr im Rahmen der Reihe „die story“ die Dokumentation „Sterbehilfe: Harald Mayer kämpft um seinen Tod“ aus. Der Info-Text zu dieser Sendung lautet (recht lapidar): „Harald Mayer will Sterbehilfe: Für jeden Handgriff braucht er einen Pfleger, nachts, wenn er sich umdrehen will, zum Naseputzen, Tränentrocknen. Harald Mayer lebt in totaler Abhängigkeit. Multiple Sklerose hat ihn bewegungsunfähig gemacht.“ (Video verfügbar bis 21.11.2023, 22.20 Uhr). Zu Wort kommen jedoch auch ein ehemaliger Basketballspieler, der sich nach einem Unfall und einer durch diesen bedingten hohen Querschnittlähmung für einen selbstbestimmten Tod entschieden hat, sowie ein Mann, der sich nach einem Schlaganfall ins Leben (und in eine gewisse Selbstständigkeit) zurückgekämpft hat und nach diesen Erfahrungen Sterbehilfe ablehnt.
Über Harald Mayers Schicksal wurde in der ARD schon häufiger berichtet. Ein einminütiger Beitrag in der ARD-Mediathek porträtiert ihn als einen der Kläger, die das BVerfG-Urteil zur Sterbehilfe aus dem Jahr 2020 erstritten haben, und am 8. Februar 2022 widmete ihm die „Landesschau Rheinland-Pfalz“ den fünfminütigen Beitrag „Harald Mayer kämpft darum, selbstbestimmt sterben zu dürfen“ Video verfügbar bis 08.02.2023, 17.23 Uhr).
Am Dienstag, dem 25. Oktober 2022, strahlte Das Erste um 23.35 Uhr in seiner Reihe „Echtes Leben“ die halbstündige Dokumentation „Mein Tod. Meine Entscheidung?“ aus. In seinem Teletext-Angebot gibt der Sender hierzu die folgenden Informationen:
„2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Der Gesetzgeber soll nun eine Regelung für den assistierten Suizid finden, die das Selbstbestimmungsrecht des Menschen stärker berücksichtigt. Über diese Regelung soll im Herbst 2022 entschieden werden.
Aktuell gibt es große Unsicherheiten: Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes wird Menschen der Zugang zu tödlichen Medikamenten verwehrt, wird assistierter Suizid behindert.
Sterbehilfevereine in Deutschland haben Zulauf, aber Menschen, die in einem Pflegeheim oder einem Hospiz leben, sind auf die Zustimmung des Trägers angewiesen.
Im Film kommen Menschen zu Wort, die aus persönlicher Betroffenheit oder beruflich mit der Frage nach einem selbstbestimmten Tod konfrontiert sind: Der Arzt Johannes Spittler reist durch die Republik und begleitet Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen.“
In der ARD-Mediathek ist das Video bis zum 25.10.2023, 23.35 Uhr, abrufbar.
Ethikrat legt Stellungnahme vor
Am 22. September 2022 hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ zu Fragen der Suizidhilfe und Sterbebegleitung vorgelegt. Da diese stolze 134 Seiten stark ist bitte ich um Verständnis, dass ich Ihnen vier Tage später noch keine Analyse bzw. Bewertung dieses Textes anbieten kann, zumal ich erst etwas später von diesem Vorgang erfahren habe. In der zeitgleich veröffentlichten Pressemeldung betont das Gremium die Bedeutung von Suizidprävention, hebt aber auch hervor, dass eine letztlich eigenverantwortlich getroffene Entscheidung eines Menschen zur Beendigung des eigenen Lebens auch staatlicherseits zu respektieren ist. Das für diese erforderliche „besonders hohe Maß an Selbstbestimmung“ setze „eine hinreichende Kenntnis der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und die Fähigkeit voraus, diese Punkte ausreichend und realitätsbezogen zu bewerten und gegeneinander abzuwägen“. Ebenso brauche es „eine hinreichende Überlegtheit, Festigkeit und Eigenständigkeit der Entscheidung. Im Ethikrat werden verschiedene Auffassungen dazu vertreten, wann genau ein hinreichendes Maß an Selbstbestimmung erreicht ist und wie dies gegebenenfalls sichergestellt werden kann. Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Anforderungen an die Freiverantwortlichkeit der betroffenen Person nicht den Verfügungsspielraum über ihr Leben nehmen dürfen.“
Ich werde mir ausreichend Zeit nehmen, dieses Dokument zu lesen und zu analysieren. Beigefügt sind ihm Statments der Vorsitzenden des Ethikrats, Alena Buyx, des Sprechers der ratsinternen Arbeitsgruppe, Helmut Frister, sowie seines Stellvertreters, Andreas Lob-Hüdepohl. Auch diese werde ich mir anschauen und sie entsprechend bewerten.
Ein neuer Anlauf
Nachdem im Jahr 2021 wegen der zu Ende gehenden Legislaturperiode der „Orientierungsdebatte“ zur möglichen (nach der Entscheidung des BVerfG allerdings nicht zwingend notwendigen) Neuordnung der Sterbehilfe kein Gesetzgebungsverfahren mehr folgen konnte (vgl. den nachfolgenden Artikel), wird nun offenbar ein konkretes Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Einer am am 18. Mai 2022 gehaltenen erneuten Orientierungsdebatte folgte am 24. Juni 2022 eine Aussprache über drei Gesetzentwürfe, die unterschiedliche Lösungen des Komplexes vorschlagen.
Zunächst finden Sie eine Zusammenfassung der Orientierungsdebatte (hierbei handelt es sich um einen Artikel aus der bundestagseigenen Publikation „Das Parlament“). Neben den dort dargestellten Redebeiträgen finden Sie hier einige weitere. Alle Redebeiträge finden Sie im Plenarprotokoll dieser Sitzung (ab S. 3410 [S. 38 des PDF-Dokuments]). Worum es geht, macht eine Kurzzusammenfassung der Problematik deutlich, die ebenfalls in „Das Parlament“ erschienen ist.
Zum Zeitpunkt dieser Debatte war erst ein Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag eingebracht worden, der ein weitgehendes Verbot von Sterbehilfevereinen zum Ziel hat, in engen Grenzen aber Sterbehilfe ermöglichen soll. Dieser wird durch einen Entschließungsantrag ergänzt, in dem u.a. gefordert wird, leicht für jedermann erreichbare Angebote zur Suizidprävention zu schaffen. Weitere Gesetzentwürfe wurden am 17.06.2022 und am 21.06.2022 beim Deutschen Bundestag eingebracht. Sie setzen jeweils darauf, für Menschen mit einem Sterbewunsch Beratungsangebote vorzuhalten. Diese sollen zum einen die Ernsthaftigkeit und das von Krankheit oder Dritten unbeeinflusste Zustandekommen des Sterbewunsches überprüfen und bei Vorliegen dieser Voraussetzung dafür sorgen, dass den betroffenen Personen ein tödlich wirkendes Medikament zur Verfügung gestellt werden kann, zum anderen aber auch Alternativen zur Selbsttötung aufzeigen. Das können bei kranken oder von Behinderung betroffenen Menschen z.B. Möglichkeiten zur Verbesserung der Pflegesituation sein, bei sozialen Notlagen auf die jeweilige Situation zugeschnittene staatliche oder privat organisierte Hilfsangebote. Im Anschluss an die Debatte wurden die Gesetzentwürfe und der Entschließungsantrag zur weiteren parlamentarischen Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.
Im Nachgang der Debatte vom 24.06.2022 habe ich mir die vorgelegten Entwürfe sowie den Entschließungsantrag angesehen und ausgewertet. Das Ergebnis, das auch eine Bewertung dieser Dokumente umfasst, kann ich Ihnen heute präsentieren. Leider muss ich feststellen, dass keiner der drei Entwürfe für sich gesehen geeignet erscheint, diese hochsensible Materie in befriedigender Weise zu regeln. Der zuerst vorgelegte, die Sterbehilfevereine grundsätzlich mit einem Verbot belegende Entwurf knüpft sehr eng an den vom BVerfG verworfenen § 217 StGB an. Die vorgesehenen Ausnahmeregelungen sind nach meiner Auffassung nicht geeignet, die vom BVerfG gegen die verworfene Regelung erhobenen Einwände zu entkräften, so dass zu erwarten ist, dass eine solche Regelung – sollte sie vom Deutschen Bundestag beschlossen werden – erneut vor dem BVerfG scheitern würde. Die Hoffnungen, die die Betroffenen – zu Recht – in dessen Urteil gesetzt haben, würden somit bitter enttäuscht werden. Der am 17.06.2022 eingebrachte Entwurf könnte eine gute Grundlage für eine gesetzliche Neuregelung darstellen. Allerdings enthält er einige Regelungen, die Bedenken auslösen müssen, weil sie Verstöße von Institutionen gegen mit ihm getroffene Regelungen nicht hinreichend konsequent sanktionieren. Der zuletzt eingebrachte Entwurf wiederum bietet nach meiner Einschätzung keine hinreichende Gewähr für den vom BVerfG für eine gesetzliche Neuregelung geforderten Schutz des Lebens.
Die in dieser Sitzung gehaltenen Reden entnehmen Sie bitte dem entsprechenden Plenarprotokoll (ab S. 4647 [S. 43 des PDF-Dokuments]). Der zweite Redner der Debatte, der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz, macht am Ende seines Beitrags den auf den ersten Blick recht interessanten Vorschlag, zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit und des autonomen Zustandekommens des Sterbewunsches ein sich an betreuungsrechtliche Regelungen anlehnendes Verfahren zu etablieren. Der Haken an diesem Vorschlag ist allerdings, dass das vorgeschlagene gerichtliche Verfahren die Möglichkeit beinhaltet, gegen die richterliche Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. Das wiederum würde das Verfahren in die Länge ziehen können, was mit Sicherheit den Interessen sich mit einem Sterbewunsch auseinandersetzender Menschen zuwiderliefe.
Das Parlament berät – oder doch nicht?
Ein Überblick: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gab es zunächst einen Aufschrei insbesondere konservativer und kirchlicher Kreise (Näheres hierzu finden Sie auf der Seite zur Rechtsprechung). Ansonsten schien erst einmal eine diesbezügliche politische Lähmung eingetreten zu sein (oder handelte es sich sogar um eine Art „Schockstarre“?; möglicherweise muss man aber auch zugestehen, dass die zur Eindämmung der aufkeimenden Covid-19-Pandemie zu beschließenden Schritte erst einmal als wichtiger angesehen werden konnten als der mit dem BVerfG-Urteil entstandene politische Handlungsbedarf). Erst fast genau elf (in Ziffern: 11) Monate nach dem Urteilsspruch deuteten sich erste gesetzgeberische Aktivitäten an: Ende Januar 2021 wurde von Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN ein interfraktioneller Gesetzentwurf vorgelegt, der auf eine so genannte „Beratungslösung“ setzt. Anfang März 2021 erhielt ich dann Kenntnis von einem Entwurf zweier GRÜNEN-Politikerinnen, der ein ähnliches Konzept verfolgt. Mitte April 2021 wurde ich bei weiteren Recherchen auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus der FDP-Fraktion aufmerksam, die sich u.a. auf das zu erwartende weitere gesetzgeberische Handeln der Bundesregierung richtete. Wohl infolge dieser Aktivitäten wurde für den 21. April 2021 eine „Orientierungsdebatte" im Plenum des Deutschen Bundestages geführt. Weitere Aktivitäten sind allerdings (Stand: 05.06.2021) derzeit nicht erkennbar. Somit dürfte angesichts des baldigen Endes der Legislaturperiode (für den 26. September 2021 ist die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag angesetzt) nicht davon auszugehen sein, dass es noch in dieser zu einer gesetzlichen Neuregelung zur Sterbehilfe in Deutschland kommen wird.
Die Materialien: Zu diesen Vorgängen kann ich Ihnen nach längerer Vorarbeit (insbesondere zur Aufbereitung der erwähnten Debatte im Deutschen Bundstag) zur Eröffnung dieser Seite umfangreiche Materialien zur Verfügung stellen. Es handelt sich zunächst einmal um den bereits erwähnten interfraktionellen Gesetzentwurf sowie den aus der GRÜNEN-Bundestagsfraktion vorgelegten. Möglicherweise im Nachgang zu der Debattem im Deutschen Bundestag tauchte auch der in der Antwort auf die Kleine Anfrage erwähnte, lange Zeit geheim gehaltene Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf. Eine Zusammenfassung dieser Entwürfe nebst Anmerkungen zu diesen finden Sie hier. Zudem stelle ich Ihnen die an die Autor*innen des interfraktionellen und des GRÜNEN-Entwurfs sowie die an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn persönlich übermittelten Stellungnahmen zur Verfügung. Entsprechenden Rückmeldungen konnte ich entnehmen, dass die Reaktionen auf die beiden erstgenannten Entwürfe durchaus vielfältig waren. Da sich derzeit auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums keinerlei Hinweise auf den von diesem erstellten „Diskussionsentwurf" finden und somit außer dem Minister selbst keine möglichen Adressaten erkennbar sind, habe ich diesem die Stellungnahme in Papierform per Post übermittelt und mit einem Anschreiben versehen, in dem dieser Umstand ebenso thematisiert ist wie die Tatsache, dass es zu diesem Entwurf bereits im Sommer 2020 ein ministerial-internes Stellungnahmeverfahren gab , dessen Veröffentlichung jedoch offenbar noch nicht vollständig ist. Von den dargestellten Entwürfen ist einzig und allein der interfraktionelle inzwischen offiziell beim Deutschen Bundestag eingebracht worden (leider haben mir die Vorbereitungen zu dieser Veröffentlichung bisher keine Zeit gelassen, mir diesen näher anzuschauen und zu prüfen. ob und inwieweit von mir angebrachte Anmerkungen berücksichtigt worden sind). Nachtrag vom 07.07.2021: Mit Datum vom 28.06.2021 erreichte mich ein Antwortschreiben aus dem BMG. Verwunderlich ist aus meiner Sicht, dass dem Unterzeichner keine Amtsbezeichnung zugeordnet ist. Tatsächlich findet sich unter dem in dem Schreiben angegebenen Link auch der Diskussionsentwurf; allerdings ist er nur durch scrollen in der Liste auffindbar. Allerdings führt selbst die Eingabe des Wortes „Selbsttötung", das Bestandteil des Titels ist, in das Suchfeld nicht zu dem gesuchten Dokument. Daher werde ich dies in einer Anfrage an den Unterzeichner dieses Schreibens noch einmal thematisieren und fragen, was mit dieser Geheimniskrämerei beabsichtigt ist. Sollte es hierauf eine Antwort geben, werde ich sie an dieser Stelle veröffentlichen. [Ende des Nachtrags]
Die am 21. April 2021 im Deutschen Bundestag geführte „Orientierungsdebatte“ stand bereits unter ungewöhnlichen Vorzeichen. So hatten Vertreter der CDU/CSU-Fraktion bereits im Vorfeld durchblicken lassen, die in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung stehende (Beratungs-)Zeit sei für die Verabschiedung einer gesetzlichen Neuregelung zu kurz, und entgegen dem sonst üblichen Verfahren hatte das BMG sich nicht bereit gefunden, den Abgeordneten „gesetzliche Formulierungshilfen“ zur Verfügung zu stellen (ÄrzteZeitung vom 10.04.2021). Da die amtlichen Protokolle der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages in zweispaltigem Layout sowie in einer nicht barrierefreien Schriftart (Times New Roman) gehalten sind und diese Debatte zudem mehrfach durch Regularien unterbrochen wurde, habe ich für Sie eine Zusammenfassung derselben erstellt. Sie enthält die ungekürzten Redebeiträge der 38 Redner*innen in der gehaltenen Reihenfolge sowie abschließend vier zu Protokoll gegebene Beiträge. Zudem habe ich alle Beiträge nach Fraktionszugehörigkeit geordnet zusammengestellt. Schließlich habe ich den Versuch unternommen, nach einer Zusammenfassung der Beiträge Tendenzen zu den Mehrheits-Meinungen in den einzelnen Fraktionen herauszufinden (zu berücksichtigen ist hier selbstverständlich, dass die jeweiligen Abgeordneten in dieser Debatte ihre sehr persönlichen Auffassungen vortrugen und aus jeder Fraktion nur vergleichsweise wenige zu Wort kamen). Am Ende dieses Dokuments findet sich noch der Versuch einer Bewertung.
Meine Meinung: Es scheint, als wenn sich eine von den christlich orientierten Unions-Parteien geführte Bundesregierung (und insbesondere diese Parteien) einmal mehr von ihrer Ideologie als von ihrer staatspolitischen Verantwortung leiten lassen. Nachdem die von letzteren gestellten für Gesundheit verantwortlichen Minister bereits eine eindeutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts regelrecht torpediert haben (die in der Frage 21 der Kleinen Anfrage [Link s.o.] erwähnte Anweisung an das BfArM, Anträge auf eine ausnahmsweise Erwerbserlaubnis für das tödlich wirkende Medikament Natrium-Pentobarbital keinesfalls zu genehmigen, wurde von Jens Spahn nach dessen Amtsantritt lediglich erneuert; sie war zuvor bereits von dessen Vorgänger Hermann Gröhe erlassen worden; s. auch den Artikel „Ausnahegenehmigung für tödliches Medikament“ auf der Rechtsprechungs-Seite), soll nun offenbar auch eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, weitestgehend missachtet werden. Aufgefallen war bereits, dass sich kein*e Abgerordnete*r aus der Unionsfraktion an den zunächst vorgelegten Entwürfen für eine Neuregelung der Sterbehilfe-Problematik beteiligt hatte. Nun aber wird (über)deutlich, dass von dieser Seite offenbar nicht das geringste Interesse besteht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 auch nur ansatzweise im Sinne der betroffenen Menschen umzusetzen. Als Motiv hierfür werden immer wieder moralisch-ethische, ja sogar religiös begründete Argumente angeführt. Und das, obwohl das Gericht in dieser Entscheidung sehr eindeutig hervorgehoben hat, dass für die Regeliung dieses Sachverhalts religiöse und/oder moralische Vorstellungen gänzlich außer Betracht zu bleiben haben. Statt ihrer insoweit gegebenen staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, wollen sich die Verantwortlichen in diesen Parteien offenbar darauf zurückziehen, dass in dieser Legislaturperiode keine Zeit mehr für eine sorgfältige Regelung dieser Materie zur Verfügung stehe. Hierzu passt, dass es offenbar (neben dem BMG-Entwurf) einen weiteren Vorschlag gibt, das Problem vorrangig im Strafrecht zu lösen; dieser sowohl von Abgeordneten aus der Unionsfraktion als auch aus der SPD unterstützte Vorschlag lag jedoch im April 2021 lediglich in Gestalt von Eckpunkten vor und ist bis Anfang Juni 2021 noch immer nicht öffentlich verfügbar. Es darf wohl schon als ein Schlag ins Gesicht der Menschen bezeichnet werden, die hierzu das Bundesverfassungsgericht angerufen hatten, wenn das BMG einen Entwurf zu einer Neuregelung zwar erarbeitet, diesen aber vor der breiten (und zuständigen) Öffentlichkeit über einen längeren Zeitrau hinweg geheim hält (und dem Anschein nach noch immer nicht bereit ist, sich öffentlich zu ihm zu bekennen). Das ist nicht nur eine Missachtung des Parlaments und damit der vom Volk gewählten Abgeordneten, sondern der Menschen selbst, die in diesem Staat leben.
In wenigen Monaten wird der 20. Deutsche Bundestag gewählt werden: Sorgen Sie, sorgen wir alle dafür, dass einer Partei, deren Vertreter*innen Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte zu missachten bereit sind und persönliche Überzeugungen höher werten als die ihnen kraft ihres Amtes übertragene staatspolitische Verantwortung, endlich wieder das Mandat für die Führung der Regierung dieses Landes entzogen wird. Mir scheint, dass mit diesen Parteien bereits seit geraumer Zeit kein Staat mehr zu machen ist.